Wie D. D. D. vom Sitzen zum Liegen
kam.
D.D.D. ist ein ganz normaler Mensch. So geschieht auch
bei ihm die körperliche Positionsveränderung vom Sitzen zum Liegen kaum
anders, als bei ihnen und mir. Mit Hilfe seiner Muskelkraft verschiebt
er seinen Schwerpunkt, der beim Liegen schön regelmässig auf seinem
ganzen Rücken verteilt ist, auch Kopf, Beine und Füsse sein Gewicht
tragen helfen, zur Hauptsache auf sein Gesäss und die Oberschenkel.
Dies tut er nicht anders, als die meisten Menschen: in dem er seinen
Rücken von der waagerechten Lagerung in eine eher senkrechte Haltung
bewegt. In dieser Tätigkeit unterscheiden sich die Menschen höchstens
darin, dass sie dazu, je nach körperlichem Umfang, mehr oder weniger
Muskelkraft investieren müssen. Für die Situation von D.D.D. dürfen
wir ruhig sagen, dass diese Positionsveränderung, von ihm schon ganz
respektable Kräfte abverlangt, da er nicht zu den zierlichen und linienbewussten
Menschen gehört, obschon auch sein Körper, eine nicht zu missachtende
und recht schwungvolle Linie aufweist; eine Linie, die so wohl vom Nacken
bis zu seinen Fersen, wie aber auch vom Hals bis hinunter zu seinen
Füssen ganz beachtliche Formen erahnen lässt, also nicht gerade nach
unten verläuft, wie dies bei Linienbesussten und oft auch bei Bewegungsfanatikern
der fall sein kann.
All dies mag den meisten Menschen bewusst sein, und erscheint ihnen
wohl daher als eine eher banale Aussage, weshalb sie sich bestimmt bereits
zu langweilen beginnen und der Versuchung nahekommen, das Lesen dieser
Geschichte abzubrechen. Damit dies ja nicht geschieht, möchte ich sie
jetzt eine eben so banale Frage stellen, banal jedoch nur in ihrer Antwort,
wenn man diese bereits kennt, aber nicht dann, wenn man nach ihr suchen
muss. Worin unterscheiden sich die Menschen auch noch in dieser Tätigkeit.
Was braucht es noch, um diese so alltägliche, und den meisten Menschen
sehr einfach erscheinende Tätigkeit ausführen zu können. -- Nun, ich
verrate es ihnen: es braucht noch eine absolut notwendige Motivation,
und diese unterscheidet sich ganz enorm von einem Menschen zum andern,
oft sogar von einem Moment zu einem andern. Meist aber sind wir uns
dessen nicht bewusst, würden uns dies jedoch spätestens dann, wenn uns
diese fehlen würde. Wir dieser Tätigkeit also keinen Sinn mehr abgewinnen
könnten, oder höchstens noch den, unsere körperlichen Bedürfnisse zu
beruhigen, oder sie sogar zu befriedigen. --
D.D.D verbrachte während vielen Jahren, den grössten Teil
seiner Zeit liegend. -- Da er leider nicht zu der menschlichen Kaste
der Könige gehörte, daher keine Bedienstete hatte, musste auch er sich
vom Liegen erheben, um seine körperlichen Bedürfnisse zu stillen, oder
manchmal auch nur, weil ihn sein Rücken so schmerzte, dass er von ihm
gezwungen wurde, seine Position zu verändern. Gewiss können sie verstehen,
dass für D.D.D. das dauernde Liegen nicht eine lustvolle Sache war.
Nein, mit Lust hatte dies nichts zu tun. Ihm fehlte ganz einfach die
Motivation, einen notwendigen Sinn, um die Kraftanstrengung auf sich
zu nehmen, sich von der liegenden in irgendeine andere Position zu begeben.
Ohne Motivation macht der Mensch nämlich nicht mehr, als seine minimalsten
Überlebensnotwendigkeiten zu stillen. Für all unser Tun benötigen wir
eine Motivation, jedoch nicht zum Überleben -- dies, eine der brutalsten
Realitäten unseres Menschseins. Wie wunderbar wäre es, all die Menschen
könnten einfach sterben, denen die Motivation zu leben fehlt; könnten
sich niederlegen und auf den Tod warten. So einfach aber ist dies nicht,
da unser Körper auch ohne Motivation leben will, zumindest so lange
wie er will, und nicht wie wir, oder unser Kopf uns dies wünschten.
Wer könnte schon, wenn auch nur für eine ganz kurze Zeit, den Atem anhalten,
um auf diese Art sein Leben mit dem Ewigenschlaf einzutauschen. Unser
Körper lässt dies nicht zu, wie er uns auch bereits nach wenigen Tagen
dazu zwingen würde, ihm doch wieder etwas Flüssigkeit zu geben, sollten
wir ihm diese zu verweigern versuchen. Für all diese überlebensnotwendigen
Dinge zwingt uns unser Körper immer wieder, uns vom Liegen zu erheben;
zumindest so lange, wie wir keine Bediensteten haben. Wir brauchen sogar
zum Sterben eine Motivation, wenn wir nicht warten wollen, bis unser
Körper diesen Zeitpunkt bestimmt. Nur zum Leben brauchen wir keine Motivation.
Dies tun wir so oder so, wenn auch mit gewissen Qualitätsunterschieden.
Und gefragt wurden wir nie, ob wir dies auch möchten. Darin liegt wohl
der Sinn des Lebens, nach dem Tausende von Menschen so unermüdlich suchen,
meist ohne zu finden, weil auch dies viel zu banal für sie ist. Der
Sinn dieses Leben, liegt im Leben selber. Darin, dass wir leben und
sterbern, in der Vergänglichkeit und in den Wiederholungen. Menschen
sterben und werden geboren. Jedem vergangenen Tag folgt ein neuer, unzählige
Tage -- so dass wir ruhigen Gewissens dem lieben Gott einen Tag, und
auch immer wieder einen neuen stehlen dürfen. Unendlich viele hat er.
Auch dieser Kummer ist kein Kummer Wert. --
Die Motivation aber fehlte D.D.D. um sich vom Liegen zum Sitzen zu bewegen.
So kam es dazu, dass er während vielen Jahren zur Hauptsache liegen
blieb. Eines Tages legte er sich so viele Vorräte an, dass er während
mehreren Wochen sein Zimmer nicht mehr verlassen musste, und dies auch
nicht tat. Nachdem all seine Vorräte aufgebraucht waren, und er sich
neue besorgen musste, stellte er fest, dass er in dieser Zeit beinahe
das Sprechen verlernt hatte. Nur noch stotternd konnte er der Verkäuferin
mitteilen, was er kaufen möchte.
In den unzähligen Stunden des Liegens, wurde D.D.D., nach dem er zuvor
tagelang erfolglos nach einer möglichen Motivation für die Kraftanstrengung,
die ein Positionswechsel von ihm verlangt hätte, gesucht hatte, sehr
langsam aber immer etwas mehr apathisch, also geistesabwesend, wo er
doch zuvor als einzige Tätigkeit, nebst dem Stillen seiner überlebensnotwendigsten
Bedürfnisse, das Studieren und Nachdenken über sich selber, den lieben
Gott und die für ihn so unerträgliche Welt gekannt hatte. Er fiel in
einen Zustand hinein, in dem es weder den oft so erholsamen Schlaf,
noch das Wachsein mit seinen dazu gehörenden Lebensenergien mehr gab.
Dieser Zustand bedrohte ihn, da er glaubte, wohl noch am Leben und doch
irgendwie sterbend zu sein, jedoch ohne den so oft ersehnten und befreienden
Ewigenschlaf zu finden, denn gequält wurde er jetzt, von immer noch
unerträglicheren Träumen, bei Tag und bei Nacht, in jeder Stunde, während
denen er nun so sehr apathisch liegen blieb. Immer weniger Kraft fühlte
er in sich, um seine Position zu verändern. Ob all dem Liegen ermüdete
er noch mehr und fühlte sich vom Leben der Menschen immer weiter entfernt.
-- Seine Todesangst motivierte ihn dann eines Tages, sich zu erheben
und eine Arbeit anzunehmen, um dieser, seiner Angst, endlich wieder
entfliehen zu können. D.D.D. begann in dem Moment genau das zu tun,
was er bis anhin für das Verachtenswerteste des menschlichen Daseins
hielt. Mit dieser für ihn so verachtenden Tätigkeit, dem Geldverdienen,
musste er sich nun aus seiner Todesangst heraus retten. Dadurch wurde
ihm bewusst, dass er sich in seinem Leben wohl drehen und wenden könne,
wie immer ihm dies auch lieb sei, am Arbeiten aber werde er als Mensch
wohl nie vorbei kommen. Nun aufeinmal stand D.D.D. jeden Morgen auf,
wie dies die meisten Menschen um ihn herum taten, fluchte dabei wohl
etwas mehr als sie, aber tat dies jetzt ohne sich irgendwelche Sinnesfragen
zu stellen, weil er von seiner Todesangst dazu gezwungen worden war,
um ihr endlich wieder entfliehen zu können. Sie also schenkte ihm die
absolut notwendige Motivation, um sich endlich vom Liegen zu erheben.
Einen ganzen Monat stand D.D.D. nun jeden Morgen auf, um zur Arbeit
zu gehen. Nicht oft genug konnte er überall und zu jeder Zeit erwähnen,
wie unerträglich dieses Arbeiten für ihn sei, und dass dieses tägliche
Funktionierenmüssen an irgendeinem Arbeitsplatz doch nicht der Sinn
seines Lebens sein könne. Wie blöde und dumm die Menschen dabei würden,
und wie sehr er dieses Arbeiten, aber auch die meisten Menschen verachte,
die in ihrem Leben kaum etwas anderes täten, als tagtäglich irgendeiner
Arbeit nachzugehen. Viel sinnvoller sei es: den ganzen Tag liegen zu
bleiben, als mit einer so stubiden Arbeit seine Energien zu verschwenden.
Er fluchte und philosophierte den ganzen Tag, überall wo er auftauchte,
über die Stubidität des Arbeitens und die Blödheit der Menschen, die
dies täten. Er selber tue dies nur, weil er unbedingt Geld nötig habe,
was tatsächlich keine Lüge war. Belogen hat D.D.D. in diesen Momenten
höchstens sich selber, und zwar nicht mit dem was er sagte, sondern
mit dem was er nicht sagte. Hatte doch gerade er erfahren, und dies
sehr schmerzhaft, dass er nicht am Arbeiten vorbeikommt; auch dann nicht,
wenn er eines Tages das grosse Los gezogen hätte, das ihn vom Geldverdienen
befreit hätte. Belügen musste er sich tagtäglich, weil es diese Lüge
war, die ihm in jeder freien Minute die Erlaubnis und so auch die Motivation
gab, um sich so rasch wie möglich wieder niederzulegen. -- Keinen Tag
länger als einen Monat, werde er eine so stubide Tätigkeit tun, prahlte
er und begab sich damit in die Zwickmühle seines Seins. Nur zu gut wusste
er ja, dass er das dauernde Liegenbleiben kaum noch ertragen werde.
Genau dieses Liegenbleiben erschien ihm in der Zeit des Arbeitens, als
eine der genüsslichsten und schönsten Tätigkeiten seines Menschseins.
Er sagte: wie schön das Leben doch sei, wenn er nichts tun müsse und
sich tagein tagaus nur an seinen Träumen erfreuen könne. Von ihnen erzählte
er den Menschen, wie wunderbar ihn diese unterhielten; Träume, von denen
er aber höchstens auf der Arbeit hätte träumen können.
Wie gesagt so auch getan. Genau nach einem Monat ging D.D.D. nicht mehr
zur Arbeit und blieb am Morgen liegen. Jetzt aber, bereits nach wenigen
Tagen, musste er sein Bett verlassen, da schon wieder diese Todesangst
ihn in ihren Krallen festhalten wollte. Nun hatte es D.D.D. zum erstenmal
wirklich geschafft, sich von seinem liegenden Dasein in ein sitzendes
Dasein zu begeben. Stundenlang schrieb er all die Träume auf, die er
leider nie geträumt hatte, dann die ganzen Wirrnisse seiner geträumten
Träume und zum Schluss auch noch seine wirklichen Träume, all seine
Sehnsüchte und Wünsche. Nachdem D.D.D. all dies niedergeschrieben hatte,
wollte seine ganze Wut in ihm explodieren, die er jetzt nicht mehr länger
stumm in sich zurückhalten konnte. Dazu hätte er sich hinlegen müssen.
Vor seinem Bett aber stand die Todesangst, die ihm, sobald er sich tagsüber
seinem Bett nähern wollte, ihre Krallen zeigte, mit denen sie ihn packen
werde. Um diese Wut zu ertragen, die ihm beinahe die Brust zerreißen
wollte, begann er auch diese niederzuschreiben, wodurch der Druck in
seiner Brust nur noch stärker wurde. Mit jedem Wort, das er wütend niederschrieb,
nahm dieser Druck zu, bis D.D.D. kaum noch atmen konnte, den Schreiber
niederlegte, sich erhob um sich doch niederzulegen. Dann sank er doch
wieder zurück in den Stuhl, da ihm, beim Bett angekommen, nun auch noch
die Todesangst beinahe an die Gurgel gesprungen wäre. -- Und wieder
steht er auf, setzt sich, steht von neuem auf, geht im Zimmer umher,
setzt sich wieder hin, zerreißt all die Papiere, die er eben beschrieben
hat in kleine Fetzen und wirft diese durch das Zimmer. Seine nun zum
Ausbruch bedrohte Wut, und die Todesangst, die ihm das Liegen verunmöglicht,
jagen D.D.D. so unruhig im Zimmer umher, dass ein Unbekannter hätte
meinen können, er habe es hier bestimmt mit einem dieser Bewegungsfanatiker
zu tun. -- D.D.D. irrte so lange in seinem Zimmer umher und setzte sich
immer wieder von neuem, um danach, von seiner Angst und der unerträglichen
Unruhe, doch wieder auf die Beine gezwungen zu werden, bis er endlich
ganz erschöpft auf seinen Stuhl niedersank, seine Finger in den Haaren
verkrallte, immer etwas mehr erstarrte, als könne er den Schmerz, den
er nun in sich fühlte, keinen einzigen Moment mehr länger ertragen.
Diese Erstarrtheit dauerte so lange an, bis er seiner Trauer und Verzweiflung
Platz anbieten konnte, in dem er ihre Anwesenheit akzeptierte und in
ein sehr tiefes und verlorenes Kinderschluchzen fiel. -- Den Kopf nun
tief in seinen Armen versteckt, als müsse er seine Tränen vor sich selber
verstecken, oder vielleicht auch nur vor seinem Gewissen, das ihm sagt:
"Ein Mann weint doch nicht, ist stark und erträgt den Schmerz,
der ihm dieses Leben etwa zufügt". In dem Moment wo D.D.D. realisiert,
dass er sich vor sich selber zu verstecken versucht, schreit er auf,
wirft seinen Kopf zurück, holt tief Atem und fällt vornüber auf den
Tisch, wo sein Kopf während vielen Stunden liegen bleibt. Zuerst noch
schluchzend, dann aber versinkt er in einen tiefen Schlaf. Er träumt
einen Traum, so wunderbar, wie er sich seine Träume bis anhin höchstens
hätte erträumen können. In diesem seinen Traum konnte er fliegen und
singen, so schön wie ein Vogel. Danach war er eine Kletterpflanze, die
sich auf jeden für ihn verbotenen Balkon hinaufschlingeln, und so in
manche Stube hinein schauen konnte. Sie vermochte die Menschen, die
da in ihren Stuben hockten, durch ihre Schönheit zu sich heran locken.
Er war ein Schmetterling und nistete sich in die Pracht mancher Blume
ein, lutschte von ihrer Süssigkeit oder sonnte sich in seiner prachtvollen
Würde in der warmen Sonne. Oder er war Fisch und lies sich von dem Strom
der Flüsse in die Weite des Meeres hinaus tragen und sprang in der Grazie
einer Gazelle, ganz unbesorgt, durch die weite Welt. -- Benommen und
wie von einer Droge berauscht ist D.D.D dann wieder aus seinem Traum
erwacht, noch immer auf seinem Stuhl und an seinem Tisch sitzend, umgeben
von all dem zerfetzten Schreibpapier, und doch fühlte er sich etwas
erleichtert. Jetzt steht er auf, ramisiert all die Papierfetzen zusammen,
lässt diese im Papierkorb verschwinden, nimmt Pfeife und Tabak vom Gestell,
setzt sich wieder hin, stopft die Pfeife, zündet sie an und lässt den
Rauch ganz genüsslich durch Mund und Nase fliessen, die sich ebenfalls
von der Verkrampfung gelöst haben. Er geniesst dieses Lebensgefühl und
überlegt sich, wie er nun eigentlich vom Liegen zum Sitzen gekommen
sei und was, dass ihm dieses Leben so unerträglich mache, oder anders
gesagt, was er tun könnte, um dieses Leben besser zu ertragen; arbeiten,
dass wollte er noch immer auf gar keinen fall.
Wie er so da sass, stieg in ihm noch einmal das Bild auf, von seinem
Traum, in dem er fliegen und singen konnte, so schön wie ein Vogel.
Ja, singen, das wollte er machen; singend möchte er durch dieses Leben
gehen. -- Je länger er sich mit diesem Gedanken beschäftigte, fühlte
er ganz stark in sich drinnen, dass dies der einzige Weg sei, wie er
durch dieses Leben gehen könne, um nicht mehr länger Liegen bleiben
zu müsse.
Trotz all der Bedenken, dass er bereits als Kind in der Schule nie habe
singen können, und in diesem Fach immer die schlechtesten Noten nach
Hause gebracht habe, meldete er sich doch an einer Musikschule an, um
den Gesang zu erlernen. Er bestand die Aufnahmeprüfung und hatte somit,
zumindest für die nächsten vier Jahre, seinem Leben einen Sinn gegeben
und auch die Motivation gefunden, jeden Morgen aufzustehen, wodurch
die Todesangst, sein Bett wieder verlassen hatte.
Ein ganzes Jahr ging dies gut. D.D.D. stand jeden Morgen auf, obschon
die Lust zum Aufstehen bereits nach den ersten Monaten von ihm gewichen
war. Er aber hatte die Angst noch so stark in den Knochen, die ihn damals,
als er in diese tiefe Lebenskrise hineingefallen war, so sehr verfolgt
hatte, dass die Motivation trotzdem ausreichte, um jeden Morgen diese
Kraftanstrengung von neuem auf sich zu nehmen und sich zu erheben. Während
den nächsten zwei Jahren bedeutete dieses Aufstehen für ihn jedesmal
einen grossen Kampf, seine Trägheit, und die Lustlosigkeit an diesem
Leben teilzunehmen, zu überwinden. Immer öfter blieb er den Schulstunden
fern, obschon er als Sänger einen grossen Erfolg ernten konnte, da er
sehr begabt und mindestens so ehrgeizig wie faul war. Immer häufiger
wurde er von Gliederschmerzen gequält, versagte die Stimme wegen Heiserkeit
und auch der Sinn zu dieser Tätigkeit, kam ihm beinahe abhanden. Er
sehnte sich zurück in die Zeit, wo er noch liegend seine Tage habe verbringen
können. Einen kurzen Moment rettete er sich dann noch über seine Motivationskrise
hinaus, in dem er seine eigenen Texte vertonte, diese sang und sich
von Freunden musikalisch begleiten liess. Fürs Radio gestaltete er kulturelle
Sendungen nach seinem eigenen Geschmack, da ihn der Unterricht an der
Musikschule zu sehr an dieses bürgerliche Leben erinnerte, das er so
schlecht ertrug, von zu Hause jedoch sehr gut kannte. Er kennt es auch
in seiner ganzen Verlogenheit. Als Kind konnte er diesem nicht entfliehen.
Während seiner ganzen Kindheit litt er unter diesem bürgerlichen Leben,
das vorallem nach aussen um ein gutes Ansehen bemüht ist, in seiner
Wahrheit jedoch sehr verlogen ist. Nie durfte er mit anderen Kindern
spielen. Er musste den Haushalt besorgen, wobei jedes Stäubchen weggewischt
werden musste, damit die Armseligkeit seiner Familie und all die Nöte,
die sie niederdrückten, ja nicht nach aussen drangen. Und am Sonntag
musste er in seinen Sonntagskleidern, die er so sehr hasste, und in
Obhut seiner Eltern, spazieren gehen und sich so der Öffentlichkeit
zur Schau stellen.
Als gegen Ende des Studiums, dann auch noch der Prüfungsdruck
auf ihm lastete, entschied er sich endgültig sein Studium abzubrechen,
da er nun wirklich genug gelernt habe, und von all den Prüfungen ganz
bestimmt nichts neues mehr lernen werde, jedoch den ganzen Stress leben
müsste, der für ihn schon lange unerträglich geworden sei. D.D.D. verliess
die Schule mit einem Arztzeugnis. Ein Zeugnis, das bestätigte, dass
für ihn dieses Studium unerträglich geworden sei, um die vom Staat erhaltenen
Stipendien, ja nicht zurück bezahlen zu müssen. Dann legte er sich hin
und ruhte sich aus. Doch auch diesmal konnte er die Ruhe nicht lange
geniessen, da bereits nach kurzer Zeit, diese Angst in ihm wieder aufstieg
und auch die Einsamkeit ihn niederdrücken wollte. Es war zu der Zeit,
als D.D.D. erkannte, dass es ihm nicht möglich sei, hier in dieser Gesellschaft
zu leben, ohne daran teilzunehmen. Und nun begann sich D.D.D. in den
verschiedensten Gruppierungen zu engagieren. Er beriet junge Männer,
die den Militärdienst verweigern wollten und verbrachte viele Stunden
an Sitzungen zur Organisation der Beratungsstelle und der Öffentlichkeitsarbeit.
Vom Radio wurde er angefragt, im Ausschuss als Freiermitarbeiter teilzunehmen,
von der homosexuellen Arbeitsgruppe wurde er in den Vorstand gewählt
und von Freunden für Gesang und Lesungen engagiert. Überall sagte D.D.D.
zu. Seine Agenda war überfüllt von Terminen für Proben und Sitzungen.
Das einzige was D.D.D. in dieser Zeit noch sagte: "Es tut mir leid,
ich habe keine Zeit." Am Morgen musste er sich nun nicht mehr fragen,
was er mit diesem Tag anfangen, oder was er tun könnte. Er brauchte
nur, noch immer im Bett liegend, seine Agenda zu zücken, die ganz in
seiner Nähe lag, und schon wusste er, für was er heute die ganze Kraftanstrengung
auf sich nehme, um vom Liegen zum Sitzen zu gelangen. Sitzend, an irgendeiner
Sitzung teilnehmend, verbrachte nun D.D.D die meisten Stunden seines
Lebens. Dies schenkte ihm das Gefühl, nun endlich am Leben dieser Gesellschaft
teilzunehmen.
So konnte D.D.D. diese Tage recht gut ertragen. Zumindest so lange,
wie seine Agenda mit Terminen überfüllt war, was ihn von der Versuchung
des Liegenbleibens fernhielt und auch der Lustlosigkeit, dem ganzen
Sinnen über den Sinn dieses Lebens und seines Seins, kaum noch Platz
einräumte. Fielen dann aber einige Termine aus, legte sich D.D.D. jedesmal
sofort wieder hin und überlegte, ob es nicht doch besser wäre, er würde
all sein Engagement an diesen Sitzungen beenden. Die Ehre, die ihm diese
Anfragen eingebracht hatten, um an irgendeiner Sitzung teilzunehmen,
schenkte ihm nur für einen kurzen Moment genügend Kraft und Motivation,
um sich vom Liegen zu erheben. Nach einer gewissen Zeit holte ihn auch
da, den von ihm so sehr verachteten Alltag wieder ein. Er fühlte nichts
mehr, als ein Mensch von all den abertausend anderen Menschen zu sein
-- nichts mehr, als nur ein weiteres Abziehbild in dieser Menschheit.
Und das war für D.D.D. das Unerträglichste, was er sich für sein Leben
vorstellen konnte. Vielleicht, geprägt von seiner Kindheit, von der
Zeit, in der er so gerne gelebt hätte, wie all die andern Kindern, seine
Eltern und die sozialen Umstände, in denen sie gelebt hatten, ihm dies
jedoch verunmöglicht hatten. In dieser Zeit musste er lernen, ein Wertgefühl
zu entwickeln, das darin bestand, nicht so zu sein wie all die andern.
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