Isteria die Unsterbliche
Isteria ist die Geschichte einer Frau, die seit manchem Jahrhundert
erforscht wird.
Sie wird erforscht, um sie mit wissenschaftlicher Begründung tot zu
schweigen.
Bücher hat ihre Geschichte gefüllt. Viele Bücher. Tausend von Wissenschaftlern
haben sich ihr angenommen. Nicht weil sie sie lieben. Weil sie sie fürchten
und weil sie unsterblich ist.
Isteria bedrohte in jeder Zeitepoche die gültigen Normen.
Es wurde gegen sie gekämpft. Mann wollte sie zerstören, was jedoch nie
gelungen ist.
Dass sie unsterblich ist, musste mann mit der Zeit akzeptieren. Diese
unglaubliche Gefahr, diese stete Rebellin war nicht zu vernichten. Glaubte
mann, sie endgültig auf dem Scheiterhaufen dem Tod überführt zu haben,
nach dem die grauenhaftesten Folterungen sie nicht zu Vernunft gebracht
hatten, dauerte es nicht lange, und schon war sie wieder da. In einem
andern Kleid. Kaum noch zu erkennen. Nur an ihrer nicht zu vernichtenden
Auflehnung gegen die Normen der jeweiligen Zeitepoche.
Isteria eine unermüdliche Kämpferin gegen die Logik. Gegen die Logik,
in der kein Mensch mehr so sein darf wie er ist, sondern so sein muss,
wie dies von ihm verlangt wird.
Isteria kam zur Welt, kurz nach dem die Logik geboren war. Seit diesem
Tag lebt sie unter uns, als Kämpferin gegen die Logik; gegen den Versuch,
als Mensch die Natur zu beherrschen, womit uns Frauen die Existenz als
Mensch mit Körper und Geist abgesprochen war, und wir auf unseren Körper
- auf unsere Natur zurück reduziert wurden. Dem Mann dagegen wurde Geist
und Wissen zugeordnet, also das Herrschen über die Natur; über Leben
und Tod. Seit diesem Tag lebt und kämpft Isteria in vielen Frauen weiter.
Sie kämpft um das Recht auf ihr - auf unser Frausein; kämpft gegen die
gesellschaftlichen Zwänge, die sie als Frau immer wieder neu definieren,
ihr jedoch das Recht noch nie gaben, sich selber zu definieren und ihre
Weiblichkeit in ihrer Gesammtheit zu leben.
So sehr sich die gesellschaftlichen Normen und Zwänge im laufe der Zeit
veränderten, so unterschiedlich erschien auch Isteria in den verschiedenen
Zeitepochen. Bis Ende des 19. Jahrhunderts jedoch immer nur als Frau,
dann, auf einmal auch als Mann.
Am Anfang war das Wort und Gott war das Wort.
Ohne das Wort ist also nichts. Und Gott war das Wort, also der Schöpfer.
Dies sagt, dass die Sprache der Schöpfer aller Dinge ist. Dabei ist
hier mit Wort Geist gemeint. Daher entstand mit der Einführung der Schrift,
auch die Vorstellung von der Macht des Geistes über die Materie. Vorher
gab es diese Vorstellung nicht. Dabei ist hier nicht das gesprochene,
das vergängliche Wort gemeint, sondern das geschriebene Wort, das unsterblich
ist. Das gesprochene Wort wird erzählt und verändert sich mit den Menschen,
mit jenen, die die Geschichten erzählen, von Generation zu Generation.
So wurde die Welt der Schrift zu der Wahrheit, an die es zu glauben
galt.
Isteria verwirrt Normen und Gesetze. Sie schafft Unordnung. Meist,
in dem sie Normen und Gesetze besonders treu wieder gibt. Damit offenbart
sie, dass Logik, Ordnung, Vernunft, alles nur Kunstwerke sind, also
eine menschliche Konstruktion.
Wer hätte im 20. Jahrhundert das Idealbild der Männer von uns Frauen,
das mit der Zeit dann sogar zu unserem eigenen Idealbild wurde, besser
und bedrohender bekämpfen und hinterfragen können, als Isteria im Körper
der Magersüchtigen.
Die Magersüchtige, die diese Norm so treu und perfekt lebt, und damit
den Beweis erstellt, dass diese Norm künstlich und sehr krankhaft ist;
uns Frauen also nicht entspricht.
Wer anders könnte die gesellschaftlichen Normen so umfassend angreiffen
und bedrohen, wie Isteria, verkörpert in den Menschen, die den Freitod
diesem Leben in Normen und Zwängen vorziehen. Was der Grund dafür sein
könnte, dass es noch kaum Statistiken über den Freitod gibt.
Ist nicht die Legasthenie, nur eine Reaktion -- eine Rebellion, ein
Kampf -- gegen die Logik der Schriftsprache. Die Schriftsprache, die
jedes Kind als etwas sehr logisches lernen muss. -- Die Logik der Schriftsprache
gibt es nicht.
Ist es da nicht verständlich, dass Madame, gezwungen im Zwang der Zwänge
zu leben, sich davor mit Aussenwelt-Phantsien zu schützen versucht.
Sich Innenwelt mit Aussenweltphantasien erhält. Lebt nicht gerade auch
in der Madame, die Isteria weiter? Madame, die seit Jahren versucht
sich selber zu sein. Die sich mit ihrer Sexualität, mit ihrer sexuellen
Lust schon so oft auseinandergesetzt hat, und dies immer wieder tut.
Madame, die nicht nur verwirklichen will, was von ihr verlangt wird.
Sie, die aufgewachsen ist, geprägt und gezeichnet von den Normen dieser
Gesellschaft. In der den Frauen sexuelle Lust abgesprochen wird, und
ihr nur die Lust in der Befriedigung des Mannes zusteht; Frauensache
sein darf - sein muss.
Ist es da nicht verständlich, dass Madame die Normen in ihrer Phantasiewelt
benutzt, um ihre Lust zu reizen und mit ihr zu spielen, die ihr seit
ihrer Mädchenzeit immer wieder vor Augen geführt wurden? Die Klisches,
dass sich Frau unterordnen muss; sich dem Mann unterzuordnen hat. Dass
der Mann viel mächtiger ist und sie ihm zu gehorchen hat. Nein, das
sind nicht ihre eigenen Phantasien. Phantasien holt sich mensch immer
aus der Aussenwelt.
Auch Madame findet es oft krank, ihre Lust anhand von solchen Phantasien
zu steigern, bis zum Höhepunkt zu führen. Hat aber nicht auch sie, genau
gleich wie die Magersüchtige, nur die gesellschaftlichen Normen so sehr
verinnerlicht, ohne jedoch die Wahl gehabt zu haben, dass uns nun diese
gelebte Phantasiewelt der Madame als krank erscheinen. Nicht die Phantasiewelt
der Madame ist krank, jedoch die Normen dieser Gesellschaft. Die Normen,
die sie hätte leben müssen sind künstlich, krank und entsprechen uns
Frauen nicht. In dem Madame diese Phantasiewelt lebt, kämpft sie um
ihr eigenes Ich, um ihr Frausein, um ihre eigene Weiblichkeit, die sie
selber definieren will. Madame hat sich emanzipiert, in dem sie nicht
mehr zu verstecken versucht, was so sehr unanständig ist, und die Normen
dieser Gesellschaft angreift und bedroht.
Es ist Isteria, die in uns Frauen in unseren sexuellen Phantasien weiterlebt.
Wir Frauen sind nicht Sado-masochistinnen. Sado-masochistisch haben
wir Aussenwelt erlebt und nun haben wir sie, diese Phantasien, die unsere
Lust regen. Wir werden euch mit unseren sexuellen Phantasien so lange
konfrontieren, bis ihr es aufgebt uns beherrschen zu wollen, und uns
zu definieren. Unsere Phantasien sind euer Spiegel.
Verleugnen wir sie nicht mehr länger. Stehen wir zu ihnen, denn für
sie brauchen wir uns nicht zu schämen. So haben wir gelernt, dass ihr
uns gerne haben möchtet. Nur Körper, nur Natur, die vom Geist -- vom
Mann beherrscht werden muss.
Wir aber sind nicht so. Es sind nur unsere sexuellen Phantasien, die
wir brauchen, um uns vor der Aussenwelt zu schützen -- Um Innenwelt
leben zu können -- Um uns zu sein; so wie wir sind, und nicht wie ihr
uns so gerne hättet
Die Geschichte von Isteria, ist die Geschichte der Hysterie. Seit manchem
Jahr versuche ich diese Geschichte zu verstehen. Drei Bücher, einige
Kurzgeschichten, Prosas und Gedichte sind von mir zu diesem Thema entstanden.
Kein Verleger, keine Verlegerin, die meine Bücher verlegen möchte. Sicher,
es sind legasthenische Bücher, hysterische Geschichten, kaum Geschichten
über Hysterie.
Ich bin Hysterikerin
Ich war Magersüchtig
Eine Reaktion auf das Idealbild von uns Frauen.
Ich war Legasthenikerin
Ich bin Legesthenikerin
Eine Reaktion auf die Logik der Schriftsprache
Die Logik gibt es nicht.
Ich bin nicht Sado-masochistin
Meine sexuellen Phantasien sind sado-masochistisch.
Eine Reaktion auf das Schweigen, auf die Unterwürfigkeit,
Eine Reaktion auf das, was ihr von mir wolltet.
Ich bin hysterisch
Definition von Hysterie
Der Duden definiert
Die Hysterie: starke, krankhafte Aufregung. Erregtheit: Sie litt an
Hysterie
Zusätzlich: Massenhysterie
Hysterisch: In übertriebener Weise aufgeregt; in krankhafter Weise
reizbar -hysterisch schreien, eine hysterische Frau.
Sinnverwandt mit gemütskrank.
Ich definiere
Hysterie ist eine Kraft, ist menschliche Energie
Sie ist nicht Logik, sondern gegen unsere Logik
Daher mit logischem Denken kaum zu verstehen
Desshalb eine Bedrohung.
Sie ist die grösste Gegnerin der Vernunft, also der Logik.
Sie ist Unvernunft, also, die Verrücktheit selbst.
Sie ist eine schöpferische Kraft
Sie ist subversiv
Da Unvernunft, Verrücktheit und Kreativität, vereint in einem, die Logik,
also unsere Gesellschaftsordnung bedrohen, und was bedroht subversiv
ist, ist sie subversiv.
Sie kann weder besiegt noch vernichtet werden.
Sie lehnt die künstliche Rollenzuteilung der Geschlechter ab.
Sie kömpft um die Erhaltung der psychischen Bisexualität.
Sie ist die einzige effiziente Waffe, welche die Männerherrschaft und
ihre Macht in Frage stellen kann, und ihr eine Gegenmacht entgegenstellt,
und dies seit manchem Jahrhundert.
Sie ist ein sehr wichtiger Teil Frauengeschichte und der wichtigste
und längste Kampf der Frauen, für ihre Rechte, Frau zu sein.
Hysterisch: Ist immer nur Reaktion; Reaktion auf die gesellschaftlichen
Normen.
Ist so verschieden, wie die gültigen Normen der jeweiligen Zeitepochen.
Zusätzlich: Die Massenhysterie ist genau das Gegenteil. Die Hysterie
kämpft um das eigene Ich, die Massenhysterie ist der Sieg des Überichs
-- des Massenichs in der Masse. Dies ist nur möglich durch die Zerstörung
des individuellen und eigenen Ichs. Sie ist die Verführbarkeit, die
Benebelung des Denkens von Menschenmengen.
Die Massenhysterie will die Erinnerung, die individuelle Geschichte
und Identität auslöschen. Sie ist die Krankheit der Ich-Losigkeit, der
Sieg des künstlichen Ichs -- des Massenichs, über das eigene Ich.
Da der Terrorismus bestrafbar ist, ist auch das Scheitern des Terrorismus
als Verweigerungsform verständlich. -- Ganz im Gegensatz zum Freitod
und all den andern hysterischen Verweigerungsformen, die der Geist -
die Vernunft, durch all die Jahrhunderte hindurch hervorgerufen hat
1).
1.) In der Auseinandersetzung mit Hysterie
hat mir das Buch "Nichtich" von Christina von Braun sehr viel
geholfen. Einige Theorien habe ich von Ihr übernommen
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