Augenblicke aus der Nabelperspektive
Frau Klara B.. Eine wahre Geschichte

Es war an einem kalten, grauen Wintertag, wie es sie oft in diesem Land gibt, als Väterchen Staat gegenüber einer sonst ganz redlichen Schweizerbürgerin seine Macht wieder einmal zur Schau stellen wollte.
Die Schweizerbürgerin Frau Klara B. lebt schon seit einigen Jahren in ihrer einfachen Zweizimmer-Altwohnung.
Ausserdem, dass bei ihr viele oft etwas fremdartige Menschen ein- und ausgehen, haust sie recht unauffällig, so dass man nicht genau weiss, was sie wohl den ganzen Tag tut.
Arbeiten jedoch scheint nicht gerade ihre Vorliebe zu sein, denn oft verlässt sie die Wohnung erst gegen Mittag und verschwindet kurz darauf wieder in ihr.
So zumindest wissen die Nachbarn zu berichten.
Die Polizei, die nicht weit von ihrer Wohnung ihren Quartierposten hat, äusserte sich in einem Leumundszeugnis, das Frau Klara B. für eine Gerichtssache brauchte, ganz ähnlich.
Sie schrieben damals dem Gerichtspräsidenten folgendes: "Obschon Frau Klara B. verschiedenen Menschen aus der Berner Jugendbewegung (Jugendbewegung 1980) Obdach gewährt, ist sie uns noch nie unangenehm aufgefallen."
Auch die Postverträgerin weiss kaum mehr von ihr zu berichten, als dass sie ihr immer wieder Post vom Betreibungsamt bringen müsse, die Frau Klara B. jeweils freundlich entgegennehme, ihr wohl daher kaum grossen Kummer bereite. Ihr gegenüber sei sie immer sehr zuvorkommend. --
Der Staat dagegen scheint bereits seit einigen Jahren nicht mehr nur Gutes über Frau Klara B. zu wissen. Sie, Frau Klara B., meine nämlich, ihre Bürgerpflichten nicht genau gleich erledigen zu müssen., wie alle anderen Schweizerbürger und -Bürgerinnen auch. Er habe da lange ein Auge zugedrückt. Jetzt aber müsse er für Ordnung schauen, wenn auch nur den anderen Bürgern und Bürgerinnen zu liebe. Ein solches Verhalten sei nicht gerecht: ansonsten man allen Menschen in diesem Staat dieses Recht zugestehen müsste. Dann könnte jeder und jede dem Staat nur noch soviel bezahlen, wie diese glaubten, auch verantworten zu können. Wo aber käme man da hin? Dies wäre keine Ordnung mehr, sondern eine richtige Sauordnung. Frau Klara B. meint dazu nur, dass sie dies sehr lustig und amüsant finden würde.
Nachdem der Staat immer wieder versucht hatte, ihr sein Guthaben direkt vom Lohn abzuziehen, was ihm leider kaum gelungen war, da Frau Klara B. sehr unrgelmässig arbeitet und oft den Arbeitsplatz wechselt, ohne den Staat darüber zu informieren, was ebenfalls ihre Pflicht wäre, schickte er ihr noch einmal eine Steuerrechnung von 4000 Franken für das Jahr 1988. Doch auch dies schien sie nicht aus ihrer Ruhe zu bringen. Sie schrieb darauf dem Staat zum erstenmal einen Brief, was sie nun auch von jeglichem Verdacht befreit hatte, Analphabetin zu sein.

"Sehr geehrte Herren,
Ihre Rechnung von 4000 Franken hat mich sehr gefreut, denn dies ist für mich ein wahres Zeichen, dass auch Sie den Humor noch nicht verloren haben. Gerade vor einer Woche hatte ich wieder einmal meinen letzten Arbeitstag und habe nun im Sinn, während einem Jahr nicht mehr zu arbeiten. Daher brauche ich mein Geld jetzt dringend für mich selber.
Nach wie vor bin ich aber bereit, einen Teil meiner Bürgerpflichten zu übernehmen, da ich Ihnen für gewisse Dienste noch immer sehr dankbar bin. Auf viele könnte ich jedoch sehr gut verzichten, da ich diese als unnötig, zum Teil sogar als kriminell erachte.
Ich mache Ihnen daher folgenden Vorschlag: Ich bezahle sofort 1000 Franken, und Sie erachten damit meine Pflicht als erfüllt und meine Schuld als beglichen.
Sollten Sie mit diesem Vorschlag nicht einverstanden sein, werde ich keine Lust mehr haben, Ihnen je wieder etwas zu bezahlen. Sie könnten dann ungeniert alle folgenden Rechnungen direkt auf mein Konto Staatsschulden überweisen."

Da der Staat mit ihrem Vorschlag nicht einverstanden war, ihr jedoch entgegenkommen wollte, versuchte er mit ihr einen Abzahlungsvertrag auszuhandeln. Daran jedoch war Frau Klara B. nicht interessiert, und der Staat verlor nun endgültig die Geduld, was sie nicht störte. Sie lebe ja ohnehin bereits seit vielen Jahren auf dem Existenzminimum, und besitze keine pfändbaren Gegenstände. Betreibungen und Pfändungen seien daher für sie völlig bedeutungslos. Dabei lebe sie ganz glücklich und zufrieden, und habe manche Sorge nicht, die viele andern Bürger mit ihren Reichtum und dem Geld doch immer wieder hätten; das Geld, das ja doch nur wieder umgesetzt werden müsse. --
Nachdem Väterchen Staat ihr dann mitgeteilt hatte, dass seine Forderung nichts mit Humor zu tun habe, Steuern zahlen jedoch ganz einfach ihre Bürgerpflicht sei, entschied sie sich also, dem Staat kein Geld mehr zu geben. Er verunmögliche es ihr jetzt, selbständig die Summe zu bestimmen, die sie ihm jeweils bezahlen könne und auch wolle.
Dies war der Grund, dass der Staat ihr die Pfändung ihres Kühlschranks androhte, falls sie sich weigere, die Rechnung von 15 Franken zu bezahlen, bevor auch diese wieder in einen Schuldschein umgewandelt sei. --
So also ist es dazu gekommen, dass der Staat ihr den Kühlschrank wegen dieser Schuld pfänden wollte, obschon sie bereits mehr als 10'000 Franken Staatsschulden hatte. Dabei ging es um die Gerichtskosten einer Vespaparkbusse, die sie hätte bezahlen sollen. Der Staat meinte: es sei ja nun klar, dass sie sich ganz einfach weigere, ihren Staatsbürgerpflichten nachzukommen. Dies habe sie dem Pfändungsweibel selber gesagt, als dieser sie gefragt habe, ob sie diese Rechnung denn nicht bezahlen könne. Ihm ins Gesicht habe sie gelacht und gesagt, was sie denn zu Mittag essen sollte, wenn sie keine 15 Franken mehr hätte. Da müsste sie sofort zur Fürsorge gehen. Nein, dies sei nicht der Grund. Sie wolle diese Rechnung nicht bezahlen, da dies Gerichtskosten seien. Sie habe von niemandem verlangt, aus dieser Vespaparkbusse eine Gerichtssache zu machen. Dies habe Väterchen Staat so gewollt, und sie sehe daher nicht ein, weshalb sie diese Kosten nun übernehmen sollte. Auch die Parkbusse hätte sie nicht bezahlen wollen. Damals aber habe sie gerade keine Zeit gehabt, um diese Busse im Gefängnis abzusitzen, was sie sonst etwa tue, wenn sie eine Busse nicht bezahlen wolle.
Die Vespa habe sie wohl gesetzeswidrig parkiert, jedoch nicht fussgänger- behinderten- oder verkehrswidrig, wie dies bei vielen Fahrzeugen doch oft der Fall sei, jedoch ohne dass diese gegen das Gesetz verstiessen.
So also begann der Staat mit seiner Machtdemonstration. Er machte sie schriftlich darauf aufmerksam, dass ihr Kühlschrank am 25. Oktober 1988 abgeholt werde.
Da Frau Klara B. an diesem Tag weg musste, verschloss sie ihre Wohnungstür. Als sie zu später Abendstunde dann nach Hause kam, freute sie sich ihren Kühlschrank noch immer am selben Ort anzutreffen. Unterdessen hatte sie bereits eine sehr innige Beziehung zu ihm. Ihr war klar, dass sie ihren Kühlschrank nicht ohne Widerstand aushändigen werde. Falls der Staat wirklich ein Interesse an ihrem alten Kühlschrank habe, müsse er ihr diesen mit Gewalt aus der Wohnung holen, und dies nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dafür werde sie dann schon sorgen. Es nehme sie nur wunder, wer sich in diesem Theaterstück, das sie mit dieser Geschichte inszenieren wollte, lächerlicher mache, sie oder Väterchen Staat. --
Sie begann ihr Strassentheater vorzubereiten, in dem die Hauptrollen von ihr selbst, der Polizei und der Pfändungsbehörde besetzt werden sollten. Eine Woche später teilte ihr der Staat einen neuen Termin mit genauer Zeitangabe schriftlich mit, unter Androhung: die Wohnungstür zu sprengen und den Kühlschrank in Anwesenheit der Polizei aus der Wohnung zu holen, falls sie nicht bereit sei, diesen auszuhändigen. Nun informierte sie die Öffentlichkeit über den genauen Zeitpunkt, an dem dieses Theater stattfinden werde. Dazu lud sie Presse, Radio und auch das Fernsehen ein.

An jenem Mittwochmorgen, punkt zehn Uhr, war alles gut vorbereitet und gespannt auf den Verlauf dieses Theaterstücks. Frau Klara B. bat die Zuschauerinnen und Zuschauer um etwas Geduld, denn die Hauptdarsteller schienen etwas Verspätung zu haben. Nach einer halben Stunde wurde ihr von zwei Passanten mitgeteilt: sie könne die Vorführung absagen, da die Hauptdarsteller nicht daran teilnehmen würden.
Nach langem Erfragen, wer diese zwei Herren denn seien, und von wo sie diese Information hätten, stellten sie sich als Polizisten vor und baten Frau Klara B., mit auf den Quartierposten zu kommen. Dort werde man sie über das Vorgefallene informieren. Dies akzeptierte sie, hatte jedoch keine Eile. Zuerst wollte sie den Zuschauern mitteilen und sich entschuldigen, dass das Theater leider nicht habe stattfinden können, wegen Abwesenheit der Hauptdarsteller. Sie sprach noch einen Moment mit den Leuten von Presse und Radio, räumte ihre Sachen weg und begab sich auf den Poilzeiposten.
Dort wurde sie vom Chef sehr freundlich empfangen, der sich über ihren Besuch zu freuen schien. "Endlich lerne ich sie kennen, nachdem ich schon so viel von ihnen gehört habe." Auch sie freute sich über diese Begegnung, obschon er nur zögernd bereit war, sich mit Namen vorzustellen.
Zu ihrem grossen Erstaunen, stand da noch ein älterer Herr in einer Ecke, etwas ausser sich, mit dem sie nun ebenfalls bekannt gemacht wurde. Es war der Pfändungsweibel persönlich, der hier sehr eingeschüchtert auf sie wartete. Seine Aufgabe wäre es gewesen, ihren Kühlschrank abzuholen. Eine Aufgabe, die ihm zugeteilt wurde, und ihm allem Anschein nach etwas unangenehm war. Deshalb hatte er sich auf den Polizeiposten zurückgezogen, ohne eine Pflicht getan zu haben. Dieser Herr stand so sehr eingeschüchtert in seiner Ecke, dass Frau Klara B. beinahe etwas Bedauern mit ihm hatte.
Er stotterte: Dafür könne er nichts. Dies sei ein Befehl von Oben. Und was sie dem Pfändungsweibel gesagt habe, der vor ein paar Monaten die Pfändung ihres Kühlschranks verfügt und ihr angekündigt hat? Der sei an allem Schuld. Er aber müsse dies nun ausbaden.
Darüber musste sogar der Chef des Polizeipostens lachen, vor allem nachdem Frau Klara B. geantwortet hatte: sie habe ihm nur gesagt, er sei ein "Löu", ein Dummkopf. Weshalb sie dann keinen Einspruch dagegen gemacht habe, fragte der Weibel weiter. Dies sei ihr zu kompliziert gewesen und sie habe dazu keine Lust gehabt. So ein Strassentheater sei doch um einiges lustvoller und amüsanter. Das Wichtigste dabei sei nämlich, dass mensch in solchen Situationen den Humor nicht verliere. Sonst könnte er Gefahr laufen zu verbittern, was bereits ein Gewinn für Väterchen Staat wäre. Sie wisse auch, dass dieser um einiges mächtiger sei, als sie selber. Wer dass jedoch mehr Humor habe, dies werde sich ja nun zeigen.
Sie warf dem Pfändungsweibel vor: diese Behörde sei sehr feige. Sie hätten ihr diesen Polzeieinsatz ja angedroht. Sie sollten doch den Mut haben, auch in der Öffentlichkeit zu ihren Entscheiden zu stehen. Dies verlange man ja auch von ihr. Auch sie habe ihr eigenes Tun zu verantworten. Bestimmt wäre die Welt um einiges besser und friedlicher, würden die Menschen nur noch das tun, was sie auch verantworten können.
Diese Aussage gefiel nun auch dem Chefpolizisten nicht: "Stellt euch doch vor, würden die Arbeiter der Kehrichtabfuhr oder der Post euren Kehricht nicht mehr wegtransportieren, und euch die Post nicht mehr zustellen, in eigener Verantwortung. Weil man euch dort zum Beispiel nicht mag. Was würdet ihr dann tun?" Sie lachte herzhaft: "Dann würde ich den Kehricht vor die nächste Türe stellen und die Post wohl selber abholen. Ein solches Leben wäre bestimmt um einiges lebendiger." " Nein, nein, so etwas ginge nicht: Das würde die ganze Ordnung bedrohen. Bedenkt doch, wie sehr gerade ältere Menschen auf diese Ordnung angewiesen sind, um noch etwas Halt zu haben." --
So plauderten sie hin und her, bis Frau Klara B. sagte: "Nun gibt es wohl nichts mehr zu sagen. So kann ich ja wieder nach Hause gehen." "Oh nein", meinte der Pfändungsweibel und bat sie, ihm ihren Kühlschrank nun doch auszuhändigen. Kopfschüttelnd verneinte sie und konnte kaum fassen, dass dieser nun wirklich glaubte, sie sei nach all dem bereit, die Dinge nun doch noch ganz unauffällig, sozusagen von Mann zu Mann, zu regeln. "In dem Fall muss ich doch die Polizei anfordern!" Er erkundigte sich beim Chefpolizisten, wieviel Mann er für diese Aktion etwa brauche. Dieser meinte: im Minimum sechs. Eine Antwort, die Frau Klara B. amüsierte; sechs Mann, um ihr den Kühlschrank zu entwenden. Da stieg ihre Meinung an, die sie über sich selber hatte. --
Jetzt also war der Pfändungsweibel entschlossen, diese Aktion tatkräftig durchzuführen, und wollte diese Männer gleich haben.
Aber eben, so einfach geht dies nicht. "Dazu müsst Ihr zuerst ein Gesuch an die Polizeidirektion stellen, die dies bewilligen muss", sagte der Chefpolizist. Nun verlor der schon etwas bedrückte Pfängungsweibel endgültig die Geduld: Ihn gehe diese ganze Sache ja nichts an. Sie, Frau Klara B. solle nun mit zu seinem Chef kommen. dort könne sie ihm selber alles erklären. Dazu aber war Frau Klara B. nicht bereit. "Ich habe bereits alles gesagt, was es zu sagen gibt. Wenn ihr Chef von mir etwas wissen will, kann er mir ja telefonieren. Mit diesen Worten verliess sie den Polizeiposten. --
Eine Stunde später ging tatsächlich bei ihr das Telefon, und der Chef der Pfändungsbehörde wollte sie sprechen.
Zuerst versuchte dieser ganz väterlich, sie davon zu überzeugen, dass sie wegen einer solchen Bagatelle doch nicht ein solches Theater machen solle. Auch sie schien seiner Meinung zu sein, glaubte aber, dass es nicht sie, sondern der Staat sei, der aus dieser Bagatelle ein Theater mache. Von ihr aus könne man dieses Theater sofort abbrechen, und alles bliebe dann beim Alten. Herr Ritter von der Pfändungsbehörde, nun bereits etwas ernsthafter: "Sie, Frau Klara B., sie sind doch Krankenschwester, und sollten daher etwas gescheiter und vernünftiger sein." Da musste sie lachen: Ja, das stimme, und so sei es auch gut möglich, dass auch er ihr eines Tages unter die Finger gerate, wie dies nun ihr ergangen sei. So etwas könne mensch eben nie zum voraus wissen.
Herr Ritter danach, sehr ernsthaft und autoritär, so, wie ein Chef sprechen sollte: "Sie werden noch von uns hören, obschon dies einige Zeit dauern wird. " "Das macht nichts. Geduld habe ich bei ihnen schon lange eingeübt. Es handelt sich bei dieser Angelegenheit ja auch um eine Rechnung, die bereits zwei Jahre alt ist." und verabschiedete sich freundlich.
Da Frau Klara B. wusste, dass jede weitere Aktion ihr Zeit und Energie kosten werde, wäre es ihr sehr recht gewesen, man hätte die Sache damit beenden können. Genügend hatte sie die Öffentlichkeit ja nun informiert. Sie überlegte daher, wie sie diese Geschichte am besten abschliessen könnte. Sie wusste, dass sie nun ihren Kühlschrank weder verkaufen noch verschenken durfte. Jetzt waren sie und ihr Kühlschrank registriert. Dies würde mit Busse oder Gefängnis bestraft. Die einzige Art, wie sie diesen Kühlschrank loswerde, ohne sich strafbar zu machen, wäre, wenn ihr dieser gestohlen würde. Da sie meinte, die Behörde würde ihr dies wohl kaum glauben, dachte sie, das einfachste sei bestimmt, ihnen direkt den Vorwurf zu machen: sie hätten ihr, nach all dem Vorgefallen den Kühlschrank aus der Wohnung getragen, ohne ihr jedoch einen neuen Abholtermin mitgeteilt zu haben, was ihre Pflicht gewesen wäre.
Mit diesem Vorwurf werde die Sache bestimmt bald erledigt sein. Die Pfändungsbehörde sei ja kaum daran interessiert, diese Bagatelle noch weiter in die Länge zu ziehen. Peinlich genug sei für sie diese Angelegenheit doch bereits gewesen. So dass sie diesen Vorwurf bestimmt einstecken würden, um die Sache möglichst bald zu erledigen und zu vergessen. Wenn auch, mit einer kleinen Schadenfreude, einer ihrer chaotischen Besucher habe ihr den Kühlschrank aus der Wohnung getragen, für das autonome Jugendzentrum Reithalle. Dort nämlich erhielten die Benützer und Benützerinnen fast zum selben Zeitpunkt eine Auflage von der Gesundheitspolizei, dass sie sich einen Kühlschrank für die Küche besorgen müssten, ansonsten die Reithalle aus hygienischen Gründen geschlossen werde. --

Sie schrieb dem Betreibungsamt folgenden Brief:

"Betrifft : Die Kühlschrankpfändung vom 3.11.1988
Sehr geehrte Herren der Pfändungsbehörde,
Es ist mir ein Anliegen, Ihnen meine Enttäuschung und meine Betroffenheit über die Art und Weise, wie Sie mir meinen Kühlschrank gepfändet und somit entwendet und enteignet haben, schriftlich mitzuteilen.
Ich erhielt von Ihnen zwei Schreiben, wann Sie die Verwertung durchführen möchten. Der erste Termin wäre am 25.10.1988 ohne Zeitangabe gewesen. Da es mir nicht möglich war, einen ganzen Tag auf sie zu warten, trafen Sie mich nicht zu Hause an. Der zweite Termin war gestern am 3.11.1988 um zehn Uhr, unter Androhung der Polizei und Aufbruch der Wohnung, falls ich mich gegen diese Verwertung zur Wehr setzten würde.
Da ich die Pfändung eines Kühlschranks wegen einer Staatsschuld von 15 Franken absurd fand, versuchte ich anhand eines Strassentheaters, die Öffentlichkeit darüber zu informieren und die Medien dazu einzuladen. Da aber fehlte Ihnen der Mut, in der Öffentlichkeit zu dieser Absurdität zu stehen. Sie erschienen nicht, sondern warteten auf dem Polizeiposten auf mich. Niemand wollte nunmehr Verantwortung dafür übernehmen. Es wurde irgendeine anonyme Instanz von Oben verantwortlich gemacht.
Ich kann meine Tätigkeiten auch nicht auf irgendeine höhere Instanz abschieben. Diese Reaktion hat mich von Ihnen enttäuscht.
Vielmehr aber bin ich von Ihnen enttäuscht und es hat mich auch geärgert, dass Sie dann noch den Mut hatten, mir den Kühlschrank während meiner Abwesenheit aus der Wohnung zu tragen.
Ob der anonyme Telefonanruf, kurz vor dem Verlassen meiner Wohnung mit ihnen zu tun hatte, dies weiss ich nicht. Dass ich dies jedoch vermute, werden Sie wohl verstehen.
Sehr enttäuscht und empört bin ich auch deshalb, weil ich Sie noch darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es rechtswidrig sei, meine Wohnung zu betreten, ohne mir einen neuen Termin mitgeteilt zu haben.
Für mich ist dies ein Zeichen mehr, dass die selben Gesetze eben nicht für alle Menschen gleich gültig sind.
Diese Geschichte ist für mich somit abgeschlossen, da mir zur Zeit Kräfte und Stunden fehlen, um diese unerfreuliche Tatsache auf dem Rechtsweg weiter zu verfolgen.
Dass ich diese Geschichte öffentlich machen wollte, war weniger wegen mir, als wegen meiner Kenntnis, um die Armut auch bei uns in der reichen Schweiz; wegen meines Wissens, dass Sie täglich fähig sind, jemandem, der sich nicht zur Wehr setzen kann, weil ihm Kräfte, Wissen und Geld fehlen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen Kühlschrank aus der Wohnung zu tragen, und anderes mehr, was heute bei uns schon längst zum Existenzminimum gehört; und dies nur wegen einer banalen Staatsschuld von 15 Franken.
Trotzdem fiel es dem Pfändungsweibel nicht schwer, mir mitzuteilen, dass er sehr human sei.
Dass wir verschiedene Begriffe und ein unterschiedliches Verständnis von Humanität haben, erscheint mir klar. --
Zurück bleibt in mir jetzt nur noch meine Empörung und meine Betroffenheit, wie aber auch meine Trauer und Hilflosigkeit, sich gegen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft nicht wehren zu können.
Ja, ich bin mir bewusst, dass auch Sie bereit wären, mich auf Grund dieser Bagatelle zu kriminalisieren oder zu einem Sozialfall zu machen. Obschon sie dies tausendfach mehr kosten würde, als meine immer noch offene Schuld von 15 Franken.
Nein, da weigere ich mich. Da mache ich nicht mehr mit, auch wenn ich diese ganze Geschichte ohne Erfolg beenden muss, denn ich kenne Eure Worte: Wenn du nicht willst, dann brauchen wir Gewalt, denn gewinnen müsst ihr, und meine Macht ist um einiges geringer als Eure. Ich aber engagiere mich für eine Welt, und so auch für ein Zusammenleben, in der es nicht mehr nur Gewinner und Verlierer geben muss.
In dem Sinn grüsse ich Sie ganz freundlich und verbleibe in Betroffenhei

Ihre Frau Klara B.

Seit dem lebt Frau Klara B. weiterhin glücklich und zufrieden, in guter Freundschaft mit ihrem Kühlschrank zusammen.
In ihrem Leben hat sich mit dieser Geschichte nichts geändert, aussert, dass sie und ihr Kühlschrank durch all die Zeitungsartikel etwas berühmter geworden sind.

 

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