Augenblicke aus der Nabelperspektive

Plappermaul und introvertierter Schweigsame halten Kommunikation

Wie aus dem Titel zu erahnen ist, vorallem dann, wenn einem die allgemeinübliche Volksmeinung einwenig vertraut ist, ist das Plappermaul eine Sie und der introvertierte Schweigsame ein Er. Es mag dem Zufall zuzuschreiben sein, dass die Sie, in diesem Falle hier Plapermaul, eine Es, also sächlich oder kindlich ist. --
Längst sind beide im ganzen Land mit ihrer spezifischen Eigenschaft bekannt; der des Plapperns oder der des Schweigens. Sie, das Plappermaul, wird deshalb oft auch als das bezeichnet, was sie unterdessen akzeptiert, denn Schwatzen, Reden oder Erzählen tut sie tatsächlich sehr viel, oft und sehr gerne. Etwas anders liegt die Sache beim introvertierten Schweigsamen. Nicht von seinen Mitmenschen wird er als das bezeichnet, ganz im Gegenteil: ihm ist es ein Anliegen, seinen Mitmenschen immer etwa wieder zu erklären, dass er eher ein introvertierter und sehr schweigsamer Mensch sei. Solche Erklärungen tönen dann meist so, als möchte er sich für diese, seine Wesensart, bei den andern entschuldigen; auch dies ganz im Gegensatz zu dem Plappermaul. Das Gefühl sich bei ihren Mitmenschen für ihr Plappern entschuldigen zu müssen, hat sie nie, obschon sie immer etwa wieder darauf aufmerksam gemacht wird, wie enorm mühsam all ihr Geplapper sein könne.
Der introvertierte Schweigsame : " Es ist unglaublich, wie viele Worte dir tagtäglich aus deinem doch eher kleinen Mund sprudeln. Dies aber mag einen wichtigen Grund dafür sein, dass ich mich sehr entspannt und ganz wohl in deiner Nähe fühle. "
Das Plappermaul etwas schmunzelnd : " Deshalb kannst du, wenn wir zusammen Essen auf das Radio verzichten, das bei dir zu Hause ja immer läuft."
Der introvertierte Schweigsame ebenfalls etwas schmunzelnd :
" Eine Spur Wahrheit ist da schon dran. Ich aber höre dir sehr gerne zu. "
Sie nun etwas beleidigt und fast einwenig wütend, zwei Gefühle, die sie ihm gegenüber jedoch nicht zeigen will. -- Er spricht weiter : " Du musst aber wissen, es gibt auch Momente in denen ich dich mit all deinem Gerede, kaum noch ertragen kann. Meist dann, wenn du auf einer Idee total abfährst, so dass kein einziger Mensch am Tisch noch eine Chance hat, irgend etwas zu sagen oder dem Gespräch beizutragen. "
Das Plappermaul : " Das kann ich dir kaum glauben. Meist ist es doch so, dass niemand sonst etwas zu erzählen hat und sich daher der ganze Tisch recht gut mit meinem Geplapper unterhalten fühlt."
Er : " Du täuschst dich Plappermaul, zumindest ich habe dann oft recht mühe dich zu ertragen. "
Sie : " Dies aber habe ich noch nie von dir verlangt! Dann sag doch etwas und misch dich ein, in mein Geplapper. "
Er : " Fühle dich nicht gleich beleidigt! Das ist kein Vorwurf! Damit will ich dir nur sagen, dass es Momente gibt, in denen dir niemand mehr zuhört und du in diesen Momenten etwas achtsamer sein solltest. "
Sie, etwas höhnisch : " Du willst mir also klar machen, dass ich an einem Tisch mit mehreren Menschen vor mich hin plappere, all die andern interessiert meine Idee oder mein Gedankenkonstrukt nicht, auf dem ich, wie du eben gesagt hast, gerade abfahre ? Sie alle aber sitzen schweigsam um mich herum und niemand hat mehr die Möglichkeit etwas zu erzählen oder an meinem Geplapper teil zu nehmen ?
Er : " Ja, dies wollte ich dir sagen. "
Nun muss das Plappermaul herzhaft lachen. Dann, nach Luft schnappend, sagt es : " Ich unterhalte mich an einem Tisch, an dem mehrere Menschen sitzen, mit meinem Geplapper also ganz alleine, weil mir niemand etwas zu erzählen hat, und ich mich sonst langweilen müsste. " -- Jetzt schon fast einwenig aggressiv : " Ihr introvertierten und schweigsamen Typen richtet euch das Leben oft etwas zu einfach ein. Erstens bringt ihr die Energie schon gar nicht mehr auf, um euch in eurem Kopf etwas einfallen zu lassen, das ihr zur Unterhaltung eurer Mitmenschen oder eures Gegenübers erzählen könntet. Ihr fühlt euch nach getaner Arbeit auf eurem Job wohl meist ganz leer im Kopf und hockt wohl deshalb stumm, wie eine halbtote Schwalbe, vor eurem Bier. So hockt ihr dann Abend für Abend in der Kneipe, und hofft ein Weib möge sich zu euch hinsetzen, um euch in eurer Langweilligkeit zu Unterhalten; einander habt ihr ja schon längst nichts mehr Neues zu erzählen. Will es dann der Zufall, dass sich tatsächlich so ein Weib in eure Nähe verirrt und auf euch einplappert, immer heftiger, weil ihr auch da noch zu faul seid etwas beizutragen. Das Weib sich aber unterhalten will, und wenn es sein muss auch alleine, weil ihr Kopf voll von Energien, Gedanken, Ideen und Phantasien ist, die sie sich nun selber mitteilt, weil ihr immer noch gelangweilt und stumm, bereits vor dem nächsten Bier hockt. Etwas später kommt ihr dann höchstens noch mit euren Vorwürfen, neben ihr, dem Plappermaul, hättet ihr, ansonsten doch so starken und klugen Männer, keine Chance mehr gehabt, auch noch irgend etwas zu sagen oder zu erzählen. Seid doch ehrlich, schon lange habt ihr resigniert und mögt euch daher nicht mehr anstrengen, etwas zu erzählen, weil euer Kopf immer nur noch leerer wird, und wohl daher immer mehr mit Bier aufgefüllt werden muss. So zu leben ist euer Recht. Da will ich euch nichts vorschreiben oder vorwerfen. Dass wir Weiber, sehr oft auch Plappermäuler, nun aber für euer Dahinvegetieren und Dahinserbeln auch noch verantwortlich gemacht werden sollten, das erscheint mir nun doch etwas zu lächerlich. Nie werden wir diese, eure Verantwortung, für euch übernehmen.
Der introvertierte Schweigsame hörte sich schweigsam diesen Redeschwall an und sagte dann : " Ich kann deine Aggressionen verstehen, die du etwa gegen diese Hängertypen in den Beizen hast. Du willst aber nicht etwa auch noch mich, in den selben Topf hineinwerfen, nur weil ich eher schweigsam und introvertiert bin ? "
Das Plappermaul : " Nicht ich habe dich als introvertiert und schweigsam bezeichnet, so wenig wie ich mich als Plappermaul beschreiben würde. Du teilst die Menschen in die für sie bestimmte Gruppe ein, und dies nicht ohne zielbewusste Absichten. Ich weiss sehr gut, dass es eher schweigsame und eher redegewandtere Menschen gibt. Das aber heisst nicht, dass die schweigsamen Menschen weniger zu sagen haben oder zum Sprechen kaum fähig sind, sowenig wie all die Plappermäuler die Fähigkeit des Zuhörens nicht besitzen oder die Ruhe und Stille schlechter ertragen würden, als die schweigsamen Menschen. Für mich ist die Tatsache, dass es Menschen gibt, die redsamer, und solche die etwas schweigsamer sind, noch nie ein Problem gewesen. Du verbindest mit dieser Tatsache, einerseits Vorwürfe, und möchtest andrerseits dich und wohl auch deine Bequemlichkeit oder Redefaulheit damit entschuldigen. Die etwas schweigsameren Menschen bedrohen und provozieren mich nicht, so wenig wie es für mich ein Problem ist, mit einem schweigsamen Menschen ein sehr angeregtes Gespräch zu führen. Dies wird für mich nur deshalb zum Problem, weil ich tagtäglich feststellen muss, wie sich die Menschen immer weniger zu sagen und zu erzählen haben, ganz unabhängig davon, ob sie nun zu der Gruppe der Schweigsamen oder der Redegewandteren gehören. Das ist ein gesellschaftliches Problem. Zum Überleben, haben wir es immer weniger nötig uns mitzuteilen was wir brauchen, erleben, denken oder fühlen. Bücher, Zeitungen, Radio, Fernseher und wie all die Medien auch noch heissen mögen, vermitteln uns das Gefühl, auf das einfache menschliche Gespräch, und sei dies auch nur im Treppenhaus, beim Kauf eines Billettes oder sonst einer Ware, verzichten zu können. -- Überleben, ja. Das können wir auch ohne Kommunikation. Ob wir so aber leben und auch immer etwa wieder fühlen können, dass Leben noch durch unsere Venen fliesst, das bezweifle ich. Immer seltener werden für mich die Nächte, in denen ich mit einem Mensch bis in die frühen Morgenstunden hinein plaudern kann; sehr angeregt und wachsam, ganz unabhängig davon, ob es sich um eher schweigsame oder redegewandtere Menschen handelt. -- Seine Gedanken, Phantasien, Gefühle, Träume und Sehnsüchte in Worte zu fassen und sie einander mitzuteilen, ist jedoch nicht möglich, ohne den Verzicht auf Privateigentum und ohne Investition der eigenen Lebensenergien. Ein angeregtes Gespräch ist für mich nicht ein Monolog, sondern etwas, das in gemeinsamer Arbeit von zwei oder mehreren Menschen entsteht. Etwas, von dem das Ziel allen beteiligten kaum bekannt ist. Das kommt einer Reise ins Unbekannte gleich. Weil es immer weniger Menschen gibt, die solche Reisen nicht Zeitvergeudung nennen, nur weil ihnen der Eigenprovit nicht klar vor Augen liegt, weshalb sie die Energie dazu schon gar nicht mehr aufbringen, kann es vorkommen, dass ich ein Gespräch mit mir alleine führe. Ein Gespräch, in dem ein Gedanke einen nächsten und immer wieder einen neuen provoziert, mit der kleinen Freude an jedem neuen Gedanken. Ich persönlich will nie auf diese Gedankenreisen verzichten und freue mich an jedem Gespräch mit einem Menschen, wo wir eine solche Reise gemeinsam tun können, und auch die Freude daran miteinander erleben und teilen können."
Der introvertierte Schweigsame noch kaum aus seiner Ruhe gekommen, hörte einmal mehr, all den Worten des Plappermauls zu. Der Moment, dass auch er bald etwas sagen sollte, rückte nun unaufhaltsam immer näher an ihn heran. Dieses Näherkommen liess ihn unruhig auf dem Fauteuil herumrutschen, Beine und Arme weit von sich weg zu strecken, und mit einem weitausholenden und tiefen Gähnen zu tun, als wolle er diesen Moment verschlucken. Eine Geste, welche das Plappermaul, auch ohne seine Worte, hätte verstehen können, hätte es dazu Lust gehabt. Dies jedoch war nicht der Fall. -- Nach einer kurzen Pause sagt es dann : " Du hast also nichts zu sagen? " -- Und wieder eine Pause bis es weiterfährt : " Mit deiner Denkfaulheit provozierst du mich, ein Gespräch mit mir alleine zu führen."
Der introvertierte Schwiegsame : " Oh Plappermaul, versteh mich recht und sei mir bitte nicht böse, ich habe den ganzen Tag gearbeitet und bin eben sehr müde. Ob es dir passt oder nicht, ich muss jetzt leider zu Bett gehen. Von mir aus kannst du noch bis hinein in die frühen Morgenstunden vor dich und zu deinen Wänden hin plappern, ich aber muss jetzt schlafen, und kann dir leider nicht mehr länger zu hören. Auch wenn wahr ist, was du gesagt hast. " Jetzt steht er auf, will sie umarmen und liebkosen. Sie weicht ihm aus und geht auf Distanz.
Das Plappermaul jetzt traurig : " Komm mir jetzt bitte nicht zu nah. Ich kann mich nicht einen ganzen Abend lang darum bemühen, dir näher zu kommen und mit dir ein Gespräch zu führen, und du lehnst dich nur immer noch weiter zurück in deinen Lehnstuhl; lässt mich ausplappern ohne dich zu bemühen an diesem Gespräch teilzunehmen. Während dem ganzen Abend hast du dich auf Distanz gehalten, um dich nicht zu exponieren. Ist für Dich der Moment dann gekommen, um ins Bett zu gehen, versuchst du die entstandene Distanz zu durchbrechen, welche du während dem ganzen Abend aufrecht erhalten hast. Wie ihr introvertierten und schweigsamen Typen funktioniert, verstehe und weiss ich nicht, bestimmt aber anders als wir Weiber und oft auch Plappermäuler. -- Wenn du müde bist, geh jetzt schlafen. Ich muss noch einen Moment hier verweilen und weiss noch nicht, ob ich deine körperliche Nähe ertrage. "
Der introvertierte Schweigsame setzt sich, nun doch etwas nachdenklich, noch einmal zurück in seinen Fauteuil und überlegt. Eine ganze Weile bleibt es jetzt still, da beide in ihren eigenen Gedanken und Gefühlen versunken sind.
Jetzt durchbricht der introvertierte Schweigsame die Stille und sagt: " Hör Plappermaul, ich weiss wirklich nicht, was ich nun noch sagen könnte und denke, dass es doch das Beste ist, wenn wir uns jetzt zur Ruhe legen. Bestimmt bist ja auch du müde, und morgen ist ein neuer Tag, wo wir vielleicht besser miteinander sprechen können. -- Das Plappermaul nun beinahe im Schweigen erstarrt, blickt noch immer vor sich hin auf den Boden, atmet tief und sagt nichts. Wieder steht er auf und versucht von neuem die Distanz, die nun auch für ihn spürbar geworden ist, zu durchbrechen, in dem er noch einmal zu ihr hingeht und ihr ganz sanft und vorsichtig über den Kopf streichelt. Mit einem tiefen vor sich hin Schluchzen durchbricht sie jetzt die Stille und sagt etwas stotternd: " Geh du nur ruhig zu Bett. Ich muss noch für mich alleine sein, um meine nun so sehr aufgewühlten Gefühle wieder etwas beruhigen und ordnen zu können. Vielleicht fühle ich mich danach wieder etwas besser. -- Ich kann nicht verstehen, wie du in solchen Momenten ruhig bleiben kannst, so tust, als berühre dich kaum etwas, als hättest du keine Gefühle. In solchen Momenten könnt ihr Männer euch immer wieder in den Schlaf flüchten, um zu vergessen, was euch bedroht. Würdet nur auch ihr eines Tages nicht mehr vergessen, sondern euch mit eurem Leben und euren Freunden auseinandersetzen. -- Ich könnte jetzt nicht einfach schlafen gehen. Würde ich es doch versuchen, könnte ich bestimmt die ganz Nacht kein einziges Auge zu tun, weil mich die Dunkelheit und deine Nähe so sehr beengen und bedrohen würden, dass ich fliehen müsste. Lass mich jetzt noch einen Moment alleine und gehe du schon ruhig schlafen. --
Der introvertierte Schweigsame aber ging nicht, setzte sich noch einmal in den Fauteuil, sehr nachdenklich, bedrückt und ebenfalls etwas traurig. Sehr lange war es ruhig zwischen den beiden, bis sich das Plappermaul aus seiner schweigsamen Erstarrtheit und dem Schluchzen erholt hatte. --
Bis hinein in die frühen Morgenstunden sprachen sie in dieser Nacht zum erstenmal zusammen und gingen darauf sehr müde, aber glücklich und zufrieden miteinander zu Bett, wo sie die Nähe des andern Körpers, die Geborgenheit und die Zärtlichkeit, die sie einander schenkten, genossen und sich freuten, dass sie in dieser Nacht einander näher gekommen sind.

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