Augenblicke aus der Nabelperspektive

Wintertage

Noch gut kann ich mich an den Mittwochmorgen erinnern. Wie ich im Bett lag, zum Fenster hinausschaute und mir überlegte, ob ich die wohlige Wärme meines Bettes nun doch verlassen, und aus der Geborgenheit, aus dem Schutz, der mir meine Decke bietet, hervorkriechen soll.
Draussen war es noch immer düster, grau und bestimmt auch kühl. -- Bald wird es Mittag sein.
So lag ich an diesem Vormittag, wunderbar geschützt vor des Tagesaktivismus, im Bett und unterhielt mich mit meinen Gedanken. Ich stellte mir vor, wie sinnlos das Treiben durch des Tageslauf sei und kam zum Schluss, dass ich nichts zu verpassen habe; es nichts gebe, was unbedingt getan werden müsse. Das meiste der menschlichen Aktivitäten kam mir ziemlich nutzlos vor, und ich entschied, dass es mir sehr gut gehe mit meiner Erlaubnis, diese oft so kalten und unfreundlichen Wintertage zur Hälfte zu verschlafen und zur andern Hälfte zu versäumen. Im weiteren würde ich so ja auch am wenigsten kosten.
Es gelingt mir kaum diese Tage zu gestalten. Meist ziehen die an mir vorbei, ohne dass ich sie in Griff bekomme. Einmal mehr kam ich zur Erkenntnis, dass ich meine Zeit vergeude, sehr verschwenderisch mit ihr umgehe, und es wohl nie schaffe, aus ihr Profit zu schlagen; aus der in unserem Land so sehr kostbaren Zeit. Hier nämlich bedeutet Zeit Geld. So zumindest hatte ich dies gelernt und auch irgendwie geglaubt. Nur selten sehe ich nämlich Menschen, die durch unsere Stadt schlendern; die rasen alle. Daher sehen sie wenig und stossen zusammen. Das löckt ihnen dann meist einen Fluch aus ihrer Brust oder ein verlegenes Entschuldigung. Innehalten aber tun sie nicht. Laufen weiter, um nicht zu verpassen oder zu vergeuden, die so sehr kostbare Zeit, denn die ist Geld.
Zum Schutz der alten und behinderten Menschen, und auch der Kinder, denn die schlendern gern und oft durch die Strassen, falls sie es wagen in die Verrücktheit der rasenden Menschenmenge hinein zu gehen, haben wir uns organisiert und versuchen uns an die Regeln des Gehens zu halten, auch die fahrenden Menschen halten sich ja an Regeln, um Schlimmes zu verhindern. Und wir, wir halten uns an die Regeln für Fussmenschen, um dieser Raserei ein unbehindertes Weiterkommen zu garantieren -- Unfälle und Staus zu verhindern.
Auch ich glaubte, dass Zeit Geld bedeute, und richtete mir mein Leben danach ein. Nun besitze ich sehr viel Zeit, leider aber kaum Geld. Meine Zeit, brachte mir kein Geld. So war wohl auch dies, eine der Lügen, die wir meist bereits als Kinder lernen müssen. -- Das Geld nämlich haben meist die, welche durch unsere Strassen rasen. -- Mir ist dies egal. Ich lebe ja in einem Land, das sehr reich ist. Da brauche ich keinen Kummer zu haben, denn Geld ist hier genügend vorhanden. --
So also lag ich an jenem Morgen in Gedanken versunken im Bett, als das Telefon läutete, ein Grund die wohlige Wärme nun doch zu verlassen. Es war Meinrad, der klagte er habe eine Depression und möchte mich besuchen. Das war der Grund, dass dann auch ich aufstand, Kaffee machte, und nur wenig später erschien er.
Auf einem wunderschönen Spaziergang, den wir nach unserem gemeinsamen Frühstück dann machten, erzählte er mir einmal mehr seinen ganzen Liebeskummer. Nun aber meinte er seinem Problem doch langsam auf den Grund zu rücken. Es sei nicht, weil die Freundschaft und Liebe zwischen ihm und Franzisaka nach einem Jahr zu Ende gegangen sei. Womit nicht etwa nur die Liebe zu Ende war, sondern auch die täglichen Streitigkeiten, die mindestens so viel Zeit von ihnen beansprucht hatte. Der Ursprung seines Problem liege nicht darin, sondern in seiner Sexualität. Er erklärte mir: wenn ein Mann keine feste Beziehung zu einer Frau habe, er unglaubliche Probleme mit seiner Sexualität bekomme. Er wisse nun wieder nicht mehr, was dass er mit seinem Sextrieb machen solle. Die Sicherheit des Freitagabends und des Sonntagmorgens, die Zeiten wo er regelmässig seinen Trieb an seiner Freundin befriedigen und beruhigen konnte, sei ja nun vorbei. Im weiteren habe ihm auch Franziska immer wieder bestätigt, dass ein Mann ohne Frau kein richtiger Mann sei.
Ich musste schmunzeln und dachte einmal mehr, wie schlecht ich sie kenne, diese Männer mit ihren Sexproblemen und mit ihrem Sextrieb, der sie ununterbrochen quält und ihnen doch nicht zu mehr Phantasie verhilft. Ich sagte Meinrad: es freue mich, dass er nun endlich den Ursprung seines Problems und seiner Depression gefunden habe, er dies daher bestimmt bald in Griff bekomme. Auch die neuen Herausforderungen, nun als Chef angestellt zu sein, würden ihn oft belasten weshalb er immer etwa wieder den Gaffar und Verleider habe. Während fünf Tagen zu hundert Prozent eingespannt zu sein, und dann auf einmal einen ganzen Tag ohne Arbeit und Freundin. Dies zu prestieren falle ihm nicht einfach. --
Meinrad erzählte mir an diesem Nachmittag also einmal mehr seinen ganzen Kummer, ohne dass ich ihn danach gefragt hatte. Ich aber hörte ihm geduldig zu, während dem wir dem Flussufer entlang spazierten, langweilte mich dabei und dachte: dass dies wohl die Probleme sind, die Mann in Kauf nehmen muss, sucht er sein Selbstwertgefühl in der Arbeit und im gesellschaftlichen Ansehen. Und doch tat er mir irgendwie leid. Meinrad schafft es einfach nicht, sich als richtigen Mann zu fühlen, als das, was er so gerne sein möchte. Er kann sich selber nicht annehmen und akzeptieren. Einen richtigen Mann möchte er sein; einer, wie sie von dieser Gesellschaft gefragt und auch akzeptiert sind -- ehrgeizig, arbeitstüchtig, strebsam, karrierebewusst und treu -- stark, sportlich, fortpflanzungsbedürftig, nicht zu sensibel und nicht zu sentimental. --
Wie wir der Aare entlang spazierte, Arm in Arm, fast wie ein Liebespaar, sagte Meinrad: dass ich eigentlich genau die richtige Grösse für ihn hätte. Ja, ich war weder zu klein noch zu gross, um korrekt, wie es sich gehört und ich von ihm auch gelernt hatte, Arm in Arm spazieren zu können; ohne sich verrenken zu müssen. Ich meinte dazu: und er -- er habe genau das richtige Einkommen; genügend Geld auch für mich.
Nun konnte auch Meinrad ganz herzhaft lachen, wenn auch mit etwas Bedauern, dass die Liebe doch nicht ganz so einfach ist. Vielleicht aber ist auch nicht ganz so kompliziert, wie Meinrad dies immer wieder meint.

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