Das vergiftete Technoparadies

Die angeblich saubere Informatik-Technologie hat die Böden von Silicon Valley verseucht.

Silicon Valley, das Vorzeigemodell der angeblich sauberen Informationswirtschaft, strotzt vor giftigen Altlasten, die Arbeitnehmer und Einwohner bedrohen. Einzelnen Erfolgen von Bürgeinitiativen zum Trotz sperren sich die verantwortlichen Firmen, ihre Fehler einzugestehen und die verseuchten Böden zu sanieren.

Von Stefan Heuer CASH September 1998
Die beigen Neubauten von Internet-Pionier Netscape direkt am Freeway 101 sind nur auf den ersten Blick Symbole für den sauberen Aufschwung des Silicon Valley. Wer genauer hinsieht, wird stählerne Pumpen und Gullydeckel mit roten Kreuzen in der Parklandschaft ausmachen. Dort werden Proben entnommen, und verseuchtes Wasser wird abgepumpt.

Auf nachgewiesen giftigen Böden stehen drei Intel-Werke, die IBM-Fabrik in San Jose, zwei Hewlett-Packard-Werke in Palo Alto und die Zentrale von Chiphersteller Advanced Micro Devices (AMD) in Sunnyvale. Schlimmer noch: Die Krebs erregende Chemiebrühe unterwandert Wohngebiete. «Meine Kinder sind schräg gegenüber von AMD in einer Tagesstätte», berichtet Software-Entwickler Michael Stanley-Jones. Die Sorge um seine Familie veranlasste ihn, für die örtliche Bürgerinitiative gegen Giftmüll zu arbeiten. Im Fadenkreuz der Silicon Valley Toxics Coalition (SVTC) steht jene Agglomeration von Hightech-Firmen, die in aller Welt als Paradies verträglichen Wachstums gefeiert wird.

Der Technologie-Boom ist auf Gift gebaut

Ein Blick auf die von Stanley-Jones zusammengestellte Landkarte des Silicon Valley http://www.svtc.org/resource zeigt schnell, dass der Boom auf Gift gebaut ist. In keiner anderen Region Amerikas befinden sich mehr Sondermüllareale - sie liegen im Lebensraum von fast zwei Millionen Menschen. «Es wird nichts unternommen, weil man die einträgliche Produktion schützen will», sagt JoLani Hironaka, Leiterin des Zentrums für Umwelt- und Arbeiterschutz in San Jose. «Arbeiter und Familien, die hier wohnen, sind die Versuchskaninchen für kommende Generationen.» Hironaka ist selber betroffen. Die Mittdreissigerin wird nie Kinder haben - möglicherweise, weil sie mit Trinkwasser aufwuchs, in das 220'000 Liter Lösungsmittel von Fairchild Semiconductors einflossen.

Zwar wurden seit den späten achtziger Jahren in die Säuberung und die Entsorgung der Altlasten von Staat und Industrie ein paar Millionen investiert, aber niemand weiss, was sich angesammelt hat, solange Elektronikfirmen wie Intel und AMD Narrenfreiheit genossen. «Es sind keine Schornsteine und Öllachen zu sehen, aber diese Industrie setzt ihre Belegschaft mehr gefährlichen Stoffen aus als die Pestizidhersteller", warnt SVTC-Direktorinm Leslie Byster.

92 Kubikmeter hochgiftige Gase für eine Silikon-Scheibe

Für die Herstellung einer einzigen Silikon-Scheibe, die hunderte von Chips enthält, werden 8600 Liter Wasser, 92 Kubikmeter teilweise hochgiftiger Gase und knapp zehn Kilo Chemikalien benötigt. Eine Halbleiterfabrik verbraucht pro Tag so viel Wasser wie eine Stadt mit 60'000 Einwohnern. Nicht zufällig befindet sich Romic, die grösste Wiederaufbereitungsanlage für Chemikalien der gesamten Westküste, in Palo Alto.

Die Drecksarbeit und die Chipproduktion bei Romic erledigen über 35'000 Einwanderer aus Lateinamerika und den Philippinen. Einer von ihnen, Rodrigo Cruz, wurde auf tragische Weise zum Symbol der Umweltschützer. Cruz kletterte für sechs Dollar die Stunde in Tankwagen, um Lösungsmittel schlamm auszuspülen. Doch seine Gasmaske hatte Löcher, und Cruz erlitt bleibende Hirnschäden. Hironakas Organisation nahm sich des Falles an und erreichte nach endlosen Hin und Her vor Gericht, dass Rezyklierer Romic 106'000 Dollar Genugtuung zahlen musste.

«Die verdienen am Giftmüll aus Silicon Valley pro Woche eine Million Dollar und sind seit über 30 Jahren keiner ökologischen Überprüfung unterzogen worden», klagt Hironaka. «Der Fall Cruz ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir wollen die anderen aufrütteln, die sich bisher nicht gewehrt haben.»

Neben der Aufklärung steht im Hightech -Tal auch dringende Forschungsarbeit an. So stellt sich die Frage, ob die auffallend hohen Raten von Missgeburten, Geburtsfehlern und Brustkrebs im Landkreis Santa Clara die Folge der jahrzehntelangen Verseuchung mit Chemikalien wie Trichlorethylen und Toluen oder reiner Zufall sind.

Zwar führt Kalifornien seit 1983 ein Krebsregister, doch die beruflichen Tätigkeiten der Betroffenen sind bisher nicht erfasst worden. Ein entsprechender Vorschlag der örtlichen Bürgerinitiativen würde mir 300'000 Dollar kosten, aber er ist festgefahren, da Lokalpolitiker am Geldtropf der Branche hängen und die Hightech-Industrie ihre Personaldaten aus Angst vor Haftungsklagen nicht freigibt. «Da könnte ich mir gleich eine Pistole an die Schläfe halten», erklärte ein Intel-Manager in einer öffentlichen Anhörung.

Zumindest einzelne Unternehmen wollen die Probleme anpacken. Hewlett-Packard entwickelt einen geschlossenen Wasserkreislauf für die Chipherstellung, Firmen wie Texas, Instruments und Unisys haben ihre Recycling-Verträge mit Romic gekündigt, da sie dessen Umweltschutzvorkehrungen bemängeln.

«Die Industrie schafft weniger neue Probleme als früher, da wir von Hardware zu immer mehr Software übergehen und der schmutzige Teil exportiert wird", sagt Lenny Siegel, Forscher am Pacific Studies Center in Mountain View. «Hier wird Halbleitertechnik nur noch entwickelt, die Fertigung findet dann in Asien statt.»

Bis zur Entwarnung wird es Jahrzehnte dauern

Siegel warnte bereits 1985 in einem Buch, dass die Folgen des sorglosen Umgangs mit tausenden von giftigen Verbindungen erst in Jahrzehnten sichtbar sein werden.

«Silicon Valley sitzt auf einer technischen Zeitbombe. Keiner weiss wann sie hochgeht; aber es steht, fest, dass nicht genug getan wird, um sie zu entschärfen», schrieb er. Öffentlicher Druck hat seit diesem düsteren Fazit erzwungen, dass kilometerlange unterirdische Chemieseen zumindest kartographiert wurden. Aber es wird 70 Jahre oder noch länger dauern, bis Entwarnnung gegeben werden kann. Viel zu lange, wenn man hier seine Kinder grosszieht», sagt Software Entwickler Michael Stanley-Jones.

 

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