Ferien
Eine Geschichte von Karl-Heinz und Glothilde
August 1993

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Vorgeschichte

Wer schleppt sich da mit müdem Schritt und hoch errötetem Gesicht den Hang hinauf? Hinter sich der weisse Meeresstrand, die zurückgelassenen Liegestühle; ein qualvoller Ferientag mehr, der überstanden und überlebt zu sein scheint. Es ist Karl Heinz mit seiner langjährig geliebten Ehefrau Klotilde im Schlepptau. Er, der diesen Moment oft kaum noch zu erwarten glaubt. Sie, die jeder dieser schon so oft gelebten Ferientage immer wieder von neuem wie angeklebt auf ihrem Liegestuhl ausharrt; vor fünf Uhr abends gibt es keinen Aufbruch. Da nützen dem Karl Heinz auch seine buntesten Phantasien nichts mehr, um seine geliebte Klotilde aus ihrer horizontalen Lage weg, von diesem verdammten Liegestuhl heraus zu löken. Ausharren muss er, hier am Strand von Saint-Tropez. Dies weiss er nur zu gut, von all ihren bereits hinter sich gebrachten Strandferien. Für ihn ist Saint -Tropez nicht anders als Nizza, Korsika, die Balearen, Malaga oder Malta: überall das selbe Ausharren, bis es dann endlich fünf Uhr ist. Beklagt er sich doch etwa einmal bei seiner Klotilde, dass er diese Ferientage bald nicht mehr ertragen könne, jeder Arbeitstag für ihn weniger qualvoll sei, beruhigt sie ihn meist mit ihrer zuckersüssen und rührseligen Stimme: "Mein geliebter Karl Heinz, stell Dir doch vor, wie wir vor den Steinmanns und all unseren andern Freunden dastehen würden, ohne unsere so viel geliebten Ferienerlebnisse. Wir, die auf einmal nicht mehr in die Ferien gingen. Was würden die von uns denken. So lass das Sorgen und überlege dir lieber, was du ihnen diesmal von Saint Tropez erzählen könntest." Das Erzählen von den Ferien überlässt Klotilde nämlich immer dem Karl Heinz. So hat auch er, denkt sie sich, eine wichtige Aufgabe in den Ferien, denn das Dichten und Phantasieren scheint ihm doch um einiges besser zu liegen als ihr. Sie selber ergibt sich da lieber ihrer Aufgabe, dem überall gleich regelmässigen Bräunen ihres Körpers, worin ja auch sie, nicht anders als ihr Karl Heinz im Dichten und Phantasieren, doch bereits eine langjährige Erfahrung besitzt, weshalb ihr dies, meist zur allgemeinen Zufriedenheit, recht gut gelingt. Nun ja, Karl Heinz könnte dank seiner wunderbaren dichterischen und sehr phantasievollen Fähigkeit, Ferienerläbnisse zu erzählen, wohl auch zu hause bleiben. Dies hat er seiner Klotilde auch schon öfters vorgeschlagen, ohne dabei auf seine sehr phantasievollen Vorschläge zu verzichten, was sie, zu hause bleibend, mit dem dadurch ersparten Geld doch alles tun könnten. Mit Entsetzen und Angst in den Augen schaute ihn seine Klotilde dann jeweils an, nicht ganz sicher, ob er jetzt wohl nur wieder eines seiner so sehr geliebten Spässchen mit ihr treibe, oder ob er nun wirklich meine, was er sage. "Nein, mein Schätzchen", sagte sie dann meist voller Entsetzen, in einer Tonlage, wo niemand mehr so richtig wissen kann, ob sie nun zu einer langen Arie ansetze oder ob dies der Anfang einer ihrer so vielseitig befürchteten hysterischen Anfälle sei. "Dies ist unmöglich. Es gibt Dinge, die auch du, Karl Heinz, tun musst, willst du nicht auf das Ansehen verzichten, das jedem Bürger aus der gut situierten Mittelschicht zu steht. Dies ist dein Lohn, der dir zusteht für Treue und Fleiss in deinem Arbeitsalltag und deinem Leben als gutgesitteter Kleinbürger ." All seine Wenn und Aber halfen da nichts mehr. Auf jeden neuen Atemzug, den er nahm um Erklärungen abzugeben, folgte ein so klares "Nein", dass es einer Ohrfeige ähnlich kam. --
So also ist es gekommen, dass Karl Heinz auch hier in Saint-Tropez jeden Tag in der brennenden Sonne ausharrt, bis ihm um fünf Uhr seine Armbanduhr die Erlösung ankündigt. Dann erhebt er sich. Kein Mucksen und Flehen seiner Klotilde, er solle sich doch noch etwas gedulden, nur noch eine Halbestunde mit ihr zusammen ausharren, denn erst jetzt sei es hier ja so richtig gemütlich und angenehm, wo die Sonne nicht mehr ganz so heiss auf sie herunter scheine und ein ganz wesentlicher Teil der Strandlieger und Sonnenbader bereits aufgebrochen seien. Nein, um diese Zeit gibt es nichts mehr, das den Karl Heinz daran hindern könnte, ihr ganzes Hab und Gut, das ihnen auch diesen Tage etwas erträglicher hätte machen sollen, zusammenzupacken. Da hat nun auch Karl Heinz höchstens noch eine mürrische Antwort übrig, auf all das zuckersüsse Flehen seiner Klotilde. "Mir ist es recht, wenn du auch noch über Nacht in deinem Liegestuhl hängst. Damit ersparst du mir das Herumschleppen dieses ganzen Plunders, das ich ja Morgen nach dem Frühstück doch nur wieder hier hin tragen muss." Und nun zynisch und ebenfalls mit zuckersüsser Stimme: "So bleib du doch hier, meine geliebte Klotilde. Über Nacht wirst du bestimmt etwas abkühlen und dich daher auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen freuen, wie noch nie zuvor. Dein Karl Heinz verspricht Dir, wenn er diesen ganz Plunder, die drei Taschen und den Sonnenschirm, nun weder hinauf noch hinunter schleppen muss, dass er dir morgen frischen Kaffee und Schinkenbrote an den Strand bringen wird." "Sei nicht albern! Von einer halben Stunde habe ich gesprochen und nicht von einer ganzen Nacht. Masslos am Übertreiben bist du nun schon wieder. Du weisst genau, dass ich diese Seite von dir nur in der Ferienberichterstattung mag und auch liebe. Ansonsten finde ich diese entwürdigend, frech und sehr unpassend." Damit war die Stimmung futsch. Nicht dass sie zuvor gut gewesen wäre; es gab sie einfach nicht. Jetzt aber gab es sie, und sie hatte diesen unerträglichen Mief, der mit jedem weiteren Wort hätte explodieren können; und dies wussten sie beide. Dieser Mief und die langersehnte Aktivität von Karl Heinz scheinen jedoch das einzige Mittel zu sein, den Klebstoff zu lösen, mit welchem seine geliebte Klotilde auf dem Liegestuhl angeglebt zu sein scheint. Nun also Karl Heinz mit einer beinahe überschwappenden Aktivität am Zusammenpacken. Wortlos, dies versteht sich von selbst. Und Klotilde? -- Stöhnend und seufzend, ebenfalls wortlos, sich von der horizontalen in die senkrechte Lage bewegend. Dies, ihre einzige Aktivtät beim Strandliegen. Danach folgt sie ihrem schwerbeladenen und nun ebenfalls stöhnenden Karl Heinz. Stöhnend ob der Last und dem von Sonne verbrannten Gesicht und Bauch, froh darüber, einen dieser für ihn so unerträglichen Ferientag mehr hinter sich gebracht zu haben. So schleppt sich Karl Heinz zielgerichtet den Berg hinauf, seinem langersehnten Bier entgegen; im Schlepptau seine langjährig geliebte Klotilde --
Es sind also Karl Heinz und Klotilde, die sich da wortlos jedoch seufzend vom Strand weg, den Hang hinauf, ihrem Hotel entgegen bewegen. So versuchen sie einmal mehr den Höhenunterschied zu überwinden. Seine Klotilde bucht sich nämlich jedesmal ein Hotel, überhalb dem Meeresstrand, um ja freie Sicht aufs Meer zu haben; auch dies eine typisch klotildische Eigenheit. Vielleicht aber tut sie dies auch deshalb, um ja sicher zu sein, dass das schwere Atmen beim Aufstieg zum Hotel ihnen jegliches Sprechen verunmögliche, wodurch das Risiko zu einem grossen Teil ausgeschlossen werden kann, dass der Mief, der doch jedesmal auf dem Heimweg ins Hotel zwischen ihr und ihrem Karl Heinz liegt, explodieren könnte. Mit noch stärker errötetem Gesicht und schweissgebadet erreichen Karl Heinz und Klotilde gegen Abend ihr Hotelzimmer. Noch ist die Stimmung geprägt von ihrem Mief, daher beide noch immer ohne Worte. Sie kennen sich sehr gut von all den Jahren ihres gemeinsamen Lebens und wissen, dass Schweigen in dieser Situation das einzig Richtige ist. Sehr gerne würde Klotilde ihren Karl Heinz jedoch gerade jetzt an die Pflichten eines Gentelmens erinnern. Ihm sagen, dass er ihr eigentlich den ersten Platz unter der Dusche anbieten müsste und es an ihm wäre, in der Zwischenzeit Badetücher aufzuhängen und all die Strandutensilien für den nächsten Tag wieder neu zu ordnen. Aber auch sie unterlässt jetzt solch mahnende Worte. Sie weiss sehr gut, dass die kühlende und erfrischende Dusche, wie auch das darauf folgende Bier, das einzige ist, was ihren Karl Heinz all die Qualen des Tages wieder vergessen lassen. Deshalb sagt sie nichts und wartet nur geduldig, bis sich ihr Karl Heinz seine brennende Haut, gereizt vom Salze des Meeres, genügend lang unter der Dusche abgekühl hat, um sich danach hinunter ins Restaurant vor sein langersehntes Bier zu setzen. Nachdem dann auch sie sich, frisch herausgeputzt und in gesittetem Freizeittenue, wie es sich für eine Dame mittleren Alters und Standes in den Ferien gehört, zur Erfrischung ins Restaurant begibt -- meist dann, wenn ihr Karl Heinz seine Kehle bereits mit einem ersten Bier erfreut hat -- werden Worte ohne Explosionsgefahr wieder möglich. Noch aber scheint der Klotilde etwas Vorsicht bei der Wahl ihrer Worte angebracht zu sein. Deshalb beginnt sie dann meist mit einer Stimme voller Zärtlichkeit: "Schmeckt es dir, das Bier?" Diese Frage gibt ihr jeweils genügend Auskunft über die momentane Stimmung ihres so sehr geliebten Karl Heinz. Antwortet dieser nur sehr kurz und eher etwas mutz mit "ja", weiss sie genau: noch ist etwas Vorsicht angebracht. Antwortet er ihr aber mit glänzenden Augen: "es ist das beste Bier, das ich je getrunken habe", ist dies das Zeichen, dass sich sein Gemüt von Betrübtsein und Bitterkeit bereits wieder ein weinig erholt hat. Darauf folgt ihrerseits dann meist ein Lob auf die wunderbare Heilkraft des Biers, welche wohl ganz besonders stark sein müsse, nach einem so prächtigen Ferientag. Dann das erste Schmunzeln ihres Karl Heinz und die Bestellung eines nächsten Biers und für seine geliebte Klotilde ein erfrischender Cocktail, die Spezialität des Hauses. -- Mit der Hilfe von Bier und Cocktail haben sich die Gemüter nun also wieder etwas erhohlt, beruhigt und auch erfrischt. Der Moment zu einer gemütlichen Plauderei auf der Restaurant Terasse, mit phantastischem Blick auf Strand und Meer, scheint nun gekommen zu sein. So sind auch für den Karl Heinz die Ferien ganz erträglich und sogar ein ganz klein wenig genüsslich. -- Wenn diese Momente nur nicht immer so schwer und mühsam verdient werden müssten, denkt sich jetzt Karl Heinz. Gedanken, die er jedoch schon lange nicht mehr gegenüber seiner Klotilde auszusprechen vermag. Ohne Fleiss keinen Preis, würde sie ihm bestimmt auch heute wieder zur Antwort geben. Was aber könnte er ihr darauf noch sagen, ohne die im Moment doch recht friedliche Stimmung bereits wieder unter Explosionsgefahr zu setzen. Deshalb behält er seine Gedanken auch diesemal lieber für sich selber und versucht zu ertragen. Einmal mehr. -- Dieses Jahr in Saint -Tropez und nächstes Jahr vielleicht in Honolulu. Wo, dies ist ihm egal. Für ihn ist es ja doch nur immer wieder die selbe, oft kaum noch zu ertragende Qual. -- Nur der eine Gedanke hilft ihm da noch mitzumachen und auszuharren. Er weiss genau, irgendeinmal wird es das Letztemal sein. Dann -- will er Ferien machen, so wie er will, ob dies seiner Klotilde nun passe oder nicht. -- Dies denkt er im Moment genau zum zehnten Mal. Seit zehn Jahren sagt er sich also jedesmal: dies waren meine, vielleicht auch unsere, letzten Strandferien. Nicht dass er noch nie versucht hätte, seine Klotilde für eine andere Art Ferien zu begeistern. Nein, sehr oft hat er dies getan. Ein Versuch, der aber jedesmal bereits in seinen Anfängen, mit einem hysterischen Anfall von seiner Klotilde, sehr rabiat beendet wurde. Wie oft hat er sich dabei schon Vorwürfe gemacht: er sei ein Halbschuh und so ein richtiger Pantoffelheld, der es doch nie fertig bringe, sich gegenüber seiner Kotilde durchzusetzen. Natürlich war daran nicht nur er Schuld. Die Waffen waren hart und spitzig, mit welchen seine geliebte Klotilde jeden seiner derartigen Versuche innert kürzester Zeit ins Offside schlug. Er ruiniere ihre Gesundheit und er sei ein elender Egoist. Sie könnte, wenn es auf ihm ankäme, vor seinen Augen krepieren und er würde sich nicht rühren. Ja, ein Mörder und Frauenhasser sei er. Solche und ähnliche Geschosse schmiss sie ihm dann jeweils entgegen. Und die Stimmung, die war dann jedesmal zumindest für eine Woche futsch. Dann musste er sich selber Abend- und Mittagessen kochen und die Haufen von schmutziger Wäsche stiegen mit jedem neuen Tag nur noch mehr an, währenddem sich seine geliebte Koltilde mit ihren Freundinnen amüsierte. Sie wartete dann jeweils ganz genüsslich, bis er zu ihr kam und sie um Entschuldigung bat; der Moment, wo der Alltag dann wieder seinen gewohnten Trott nehmen konnte. -- Solche und ähnliche Gedanken gingen an diesem Abend dem Karl Heinz durch den Kopf, als ihn seine geliebte Klotilde unterbrach: "Was studierst du so ganz still vor dich hin? Ich bin doch auch hier! Da könntest du dich doch ein ganz kleines Bisschen darum bemühen, ein paar Worte mit mir zu plaudern." "Ach nichts von grosser Wichtigkeit. Ich war in Gedanken schon wieder bei der Arbeit." "Du bist bestimmt der treuste Mitarbeiter deiner Firma. Nicht einmal in den Ferien kannst du das Sorgen um deinen Arbeitsalltag sein lassen. Komm, sprechen wir von etwas anderem. Weisst du bereits, was du den Steinmanns und all unseren anderen Freunden von Saint -Tropez erzählen willst? Die können ja jedesmal kaum warten, um zu hören, was wir diesmal wieder alles erlebt haben." Ihren geliebten Karl Heinz nun ganz zärtlich obenein nehmend: "Es gibt niemanden, der so spannend und unterhaltsam Ferienerlebnisse erzählen kann, wie du." --
So sind sie auch heute Abend bei ihrem Lieblingsthema angelangt: der Ferienberichterstattung; eigentlich das Einzige, worüber sie beide sehr angeregt und lustvoll sprechen können. Ein wahres Vergnügen ist es für Klotilde, dem Karl Heinz zuzuhören, wie er immer neue und noch ausgefallenere Ferienerlebnisse erfindet, um sich danach mit ihm zu einigen, was er ihren Freunden dieses Jahr erzählen solle. Obschon Karl Heinz all diese phantastischen Ferienerlebnisse viel lieber selber erleben als nur erfinden möchte, ist dies auch für ihn eine sehr kreative und lustvolle Tätigkeit, die er sehr gerne zusammen mit seiner geliebten Klotilde tut, wofür sie ihn ja auch jedesmal enorm bewundert. Besser, Ferienerlebnisse in seinen Phantasien zu haben, als überhaupt keine Ferienerlebnisse, tröstet sich Karl Heinz dann meist über diese Absurdität hinweg. --

Dies war die Vorgeschichte zu den aufregendsten, spannendsten und ausgefallendsten Ferienerlebnissen eines Ehepaars mittleren Alters und Standes, die es in dieser Menschheitsgeschichte je gegeben hat

Email: erufer@bluewin.ch

 

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