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Vorgeschichte
Wer schleppt sich da mit müdem Schritt und hoch errötetem Gesicht den
Hang hinauf? Hinter sich der weisse Meeresstrand, die zurückgelassenen
Liegestühle; ein qualvoller Ferientag mehr, der überstanden und überlebt
zu sein scheint. Es ist Karl Heinz mit seiner langjährig geliebten Ehefrau
Klotilde im Schlepptau. Er, der diesen Moment oft kaum noch zu erwarten
glaubt. Sie, die jeder dieser schon so oft gelebten Ferientage immer
wieder von neuem wie angeklebt auf ihrem Liegestuhl ausharrt; vor fünf
Uhr abends gibt es keinen Aufbruch. Da nützen dem Karl Heinz auch seine
buntesten Phantasien nichts mehr, um seine geliebte Klotilde aus ihrer
horizontalen Lage weg, von diesem verdammten Liegestuhl heraus zu löken.
Ausharren muss er, hier am Strand von Saint-Tropez. Dies weiss er nur
zu gut, von all ihren bereits hinter sich gebrachten Strandferien. Für
ihn ist Saint -Tropez nicht anders als Nizza, Korsika, die Balearen,
Malaga oder Malta: überall das selbe Ausharren, bis es dann endlich
fünf Uhr ist. Beklagt er sich doch etwa einmal bei seiner Klotilde,
dass er diese Ferientage bald nicht mehr ertragen könne, jeder Arbeitstag
für ihn weniger qualvoll sei, beruhigt sie ihn meist mit ihrer zuckersüssen
und rührseligen Stimme: "Mein geliebter Karl Heinz, stell Dir doch vor,
wie wir vor den Steinmanns und all unseren andern Freunden dastehen
würden, ohne unsere so viel geliebten Ferienerlebnisse. Wir, die auf
einmal nicht mehr in die Ferien gingen. Was würden die von uns denken.
So lass das Sorgen und überlege dir lieber, was du ihnen diesmal von
Saint Tropez erzählen könntest." Das Erzählen von den Ferien überlässt
Klotilde nämlich immer dem Karl Heinz. So hat auch er, denkt sie sich,
eine wichtige Aufgabe in den Ferien, denn das Dichten und Phantasieren
scheint ihm doch um einiges besser zu liegen als ihr. Sie selber ergibt
sich da lieber ihrer Aufgabe, dem überall gleich regelmässigen Bräunen
ihres Körpers, worin ja auch sie, nicht anders als ihr Karl Heinz im
Dichten und Phantasieren, doch bereits eine langjährige Erfahrung besitzt,
weshalb ihr dies, meist zur allgemeinen Zufriedenheit, recht gut gelingt.
Nun ja, Karl Heinz könnte dank seiner wunderbaren dichterischen und
sehr phantasievollen Fähigkeit, Ferienerläbnisse zu erzählen, wohl auch
zu hause bleiben. Dies hat er seiner Klotilde auch schon öfters vorgeschlagen,
ohne dabei auf seine sehr phantasievollen Vorschläge zu verzichten,
was sie, zu hause bleibend, mit dem dadurch ersparten Geld doch alles
tun könnten. Mit Entsetzen und Angst in den Augen schaute ihn seine
Klotilde dann jeweils an, nicht ganz sicher, ob er jetzt wohl nur wieder
eines seiner so sehr geliebten Spässchen mit ihr treibe, oder ob er
nun wirklich meine, was er sage. "Nein, mein Schätzchen", sagte sie
dann meist voller Entsetzen, in einer Tonlage, wo niemand mehr so richtig
wissen kann, ob sie nun zu einer langen Arie ansetze oder ob dies der
Anfang einer ihrer so vielseitig befürchteten hysterischen Anfälle sei.
"Dies ist unmöglich. Es gibt Dinge, die auch du, Karl Heinz, tun musst,
willst du nicht auf das Ansehen verzichten, das jedem Bürger aus der
gut situierten Mittelschicht zu steht. Dies ist dein Lohn, der dir zusteht
für Treue und Fleiss in deinem Arbeitsalltag und deinem Leben als gutgesitteter
Kleinbürger ." All seine Wenn und Aber halfen da nichts mehr. Auf jeden
neuen Atemzug, den er nahm um Erklärungen abzugeben, folgte ein so klares
"Nein", dass es einer Ohrfeige ähnlich kam. --
So also ist es gekommen, dass Karl Heinz auch hier in Saint-Tropez jeden
Tag in der brennenden Sonne ausharrt, bis ihm um fünf Uhr seine Armbanduhr
die Erlösung ankündigt. Dann erhebt er sich. Kein Mucksen und Flehen
seiner Klotilde, er solle sich doch noch etwas gedulden, nur noch eine
Halbestunde mit ihr zusammen ausharren, denn erst jetzt sei es hier
ja so richtig gemütlich und angenehm, wo die Sonne nicht mehr ganz so
heiss auf sie herunter scheine und ein ganz wesentlicher Teil der Strandlieger
und Sonnenbader bereits aufgebrochen seien. Nein, um diese Zeit gibt
es nichts mehr, das den Karl Heinz daran hindern könnte, ihr ganzes
Hab und Gut, das ihnen auch diesen Tage etwas erträglicher hätte machen
sollen, zusammenzupacken. Da hat nun auch Karl Heinz höchstens noch
eine mürrische Antwort übrig, auf all das zuckersüsse Flehen seiner
Klotilde. "Mir ist es recht, wenn du auch noch über Nacht in deinem
Liegestuhl hängst. Damit ersparst du mir das Herumschleppen dieses ganzen
Plunders, das ich ja Morgen nach dem Frühstück doch nur wieder hier
hin tragen muss." Und nun zynisch und ebenfalls mit zuckersüsser Stimme:
"So bleib du doch hier, meine geliebte Klotilde. Über Nacht wirst du
bestimmt etwas abkühlen und dich daher auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen
freuen, wie noch nie zuvor. Dein Karl Heinz verspricht Dir, wenn er
diesen ganz Plunder, die drei Taschen und den Sonnenschirm, nun weder
hinauf noch hinunter schleppen muss, dass er dir morgen frischen Kaffee
und Schinkenbrote an den Strand bringen wird." "Sei nicht albern! Von
einer halben Stunde habe ich gesprochen und nicht von einer ganzen Nacht.
Masslos am Übertreiben bist du nun schon wieder. Du weisst genau, dass
ich diese Seite von dir nur in der Ferienberichterstattung mag und auch
liebe. Ansonsten finde ich diese entwürdigend, frech und sehr unpassend."
Damit war die Stimmung futsch. Nicht dass sie zuvor gut gewesen wäre;
es gab sie einfach nicht. Jetzt aber gab es sie, und sie hatte diesen
unerträglichen Mief, der mit jedem weiteren Wort hätte explodieren können;
und dies wussten sie beide. Dieser Mief und die langersehnte Aktivität
von Karl Heinz scheinen jedoch das einzige Mittel zu sein, den Klebstoff
zu lösen, mit welchem seine geliebte Klotilde auf dem Liegestuhl angeglebt
zu sein scheint. Nun also Karl Heinz mit einer beinahe überschwappenden
Aktivität am Zusammenpacken. Wortlos, dies versteht sich von selbst.
Und Klotilde? -- Stöhnend und seufzend, ebenfalls wortlos, sich von
der horizontalen in die senkrechte Lage bewegend. Dies, ihre einzige
Aktivtät beim Strandliegen. Danach folgt sie ihrem schwerbeladenen und
nun ebenfalls stöhnenden Karl Heinz. Stöhnend ob der Last und dem von
Sonne verbrannten Gesicht und Bauch, froh darüber, einen dieser für
ihn so unerträglichen Ferientag mehr hinter sich gebracht zu haben.
So schleppt sich Karl Heinz zielgerichtet den Berg hinauf, seinem langersehnten
Bier entgegen; im Schlepptau seine langjährig geliebte Klotilde --
Es sind also Karl Heinz und Klotilde, die sich da wortlos jedoch seufzend
vom Strand weg, den Hang hinauf, ihrem Hotel entgegen bewegen. So versuchen
sie einmal mehr den Höhenunterschied zu überwinden. Seine Klotilde bucht
sich nämlich jedesmal ein Hotel, überhalb dem Meeresstrand, um ja freie
Sicht aufs Meer zu haben; auch dies eine typisch klotildische Eigenheit.
Vielleicht aber tut sie dies auch deshalb, um ja sicher zu sein, dass
das schwere Atmen beim Aufstieg zum Hotel ihnen jegliches Sprechen verunmögliche,
wodurch das Risiko zu einem grossen Teil ausgeschlossen werden kann,
dass der Mief, der doch jedesmal auf dem Heimweg ins Hotel zwischen
ihr und ihrem Karl Heinz liegt, explodieren könnte. Mit noch stärker
errötetem Gesicht und schweissgebadet erreichen Karl Heinz und Klotilde
gegen Abend ihr Hotelzimmer. Noch ist die Stimmung geprägt von ihrem
Mief, daher beide noch immer ohne Worte. Sie kennen sich sehr gut von
all den Jahren ihres gemeinsamen Lebens und wissen, dass Schweigen in
dieser Situation das einzig Richtige ist. Sehr gerne würde Klotilde
ihren Karl Heinz jedoch gerade jetzt an die Pflichten eines Gentelmens
erinnern. Ihm sagen, dass er ihr eigentlich den ersten Platz unter der
Dusche anbieten müsste und es an ihm wäre, in der Zwischenzeit Badetücher
aufzuhängen und all die Strandutensilien für den nächsten Tag wieder
neu zu ordnen. Aber auch sie unterlässt jetzt solch mahnende Worte.
Sie weiss sehr gut, dass die kühlende und erfrischende Dusche, wie auch
das darauf folgende Bier, das einzige ist, was ihren Karl Heinz all
die Qualen des Tages wieder vergessen lassen. Deshalb sagt sie nichts
und wartet nur geduldig, bis sich ihr Karl Heinz seine brennende Haut,
gereizt vom Salze des Meeres, genügend lang unter der Dusche abgekühl
hat, um sich danach hinunter ins Restaurant vor sein langersehntes Bier
zu setzen. Nachdem dann auch sie sich, frisch herausgeputzt und in gesittetem
Freizeittenue, wie es sich für eine Dame mittleren Alters und Standes
in den Ferien gehört, zur Erfrischung ins Restaurant begibt -- meist
dann, wenn ihr Karl Heinz seine Kehle bereits mit einem ersten Bier
erfreut hat -- werden Worte ohne Explosionsgefahr wieder möglich. Noch
aber scheint der Klotilde etwas Vorsicht bei der Wahl ihrer Worte angebracht
zu sein. Deshalb beginnt sie dann meist mit einer Stimme voller Zärtlichkeit:
"Schmeckt es dir, das Bier?" Diese Frage gibt ihr jeweils genügend Auskunft
über die momentane Stimmung ihres so sehr geliebten Karl Heinz. Antwortet
dieser nur sehr kurz und eher etwas mutz mit "ja", weiss sie genau:
noch ist etwas Vorsicht angebracht. Antwortet er ihr aber mit glänzenden
Augen: "es ist das beste Bier, das ich je getrunken habe", ist dies
das Zeichen, dass sich sein Gemüt von Betrübtsein und Bitterkeit bereits
wieder ein weinig erholt hat. Darauf folgt ihrerseits dann meist ein
Lob auf die wunderbare Heilkraft des Biers, welche wohl ganz besonders
stark sein müsse, nach einem so prächtigen Ferientag. Dann das erste
Schmunzeln ihres Karl Heinz und die Bestellung eines nächsten Biers
und für seine geliebte Klotilde ein erfrischender Cocktail, die Spezialität
des Hauses. -- Mit der Hilfe von Bier und Cocktail haben sich die Gemüter
nun also wieder etwas erhohlt, beruhigt und auch erfrischt. Der Moment
zu einer gemütlichen Plauderei auf der Restaurant Terasse, mit phantastischem
Blick auf Strand und Meer, scheint nun gekommen zu sein. So sind auch
für den Karl Heinz die Ferien ganz erträglich und sogar ein ganz klein
wenig genüsslich. -- Wenn diese Momente nur nicht immer so schwer und
mühsam verdient werden müssten, denkt sich jetzt Karl Heinz. Gedanken,
die er jedoch schon lange nicht mehr gegenüber seiner Klotilde auszusprechen
vermag. Ohne Fleiss keinen Preis, würde sie ihm bestimmt auch heute
wieder zur Antwort geben. Was aber könnte er ihr darauf noch sagen,
ohne die im Moment doch recht friedliche Stimmung bereits wieder unter
Explosionsgefahr zu setzen. Deshalb behält er seine Gedanken auch diesemal
lieber für sich selber und versucht zu ertragen. Einmal mehr. -- Dieses
Jahr in Saint -Tropez und nächstes Jahr vielleicht in Honolulu. Wo,
dies ist ihm egal. Für ihn ist es ja doch nur immer wieder die selbe,
oft kaum noch zu ertragende Qual. -- Nur der eine Gedanke hilft ihm
da noch mitzumachen und auszuharren. Er weiss genau, irgendeinmal wird
es das Letztemal sein. Dann -- will er Ferien machen, so wie er will,
ob dies seiner Klotilde nun passe oder nicht. -- Dies denkt er im Moment
genau zum zehnten Mal. Seit zehn Jahren sagt er sich also jedesmal:
dies waren meine, vielleicht auch unsere, letzten Strandferien. Nicht
dass er noch nie versucht hätte, seine Klotilde für eine andere Art
Ferien zu begeistern. Nein, sehr oft hat er dies getan. Ein Versuch,
der aber jedesmal bereits in seinen Anfängen, mit einem hysterischen
Anfall von seiner Klotilde, sehr rabiat beendet wurde. Wie oft hat er
sich dabei schon Vorwürfe gemacht: er sei ein Halbschuh und so ein richtiger
Pantoffelheld, der es doch nie fertig bringe, sich gegenüber seiner
Kotilde durchzusetzen. Natürlich war daran nicht nur er Schuld. Die
Waffen waren hart und spitzig, mit welchen seine geliebte Klotilde jeden
seiner derartigen Versuche innert kürzester Zeit ins Offside schlug.
Er ruiniere ihre Gesundheit und er sei ein elender Egoist. Sie könnte,
wenn es auf ihm ankäme, vor seinen Augen krepieren und er würde sich
nicht rühren. Ja, ein Mörder und Frauenhasser sei er. Solche und ähnliche
Geschosse schmiss sie ihm dann jeweils entgegen. Und die Stimmung, die
war dann jedesmal zumindest für eine Woche futsch. Dann musste er sich
selber Abend- und Mittagessen kochen und die Haufen von schmutziger
Wäsche stiegen mit jedem neuen Tag nur noch mehr an, währenddem sich
seine geliebte Koltilde mit ihren Freundinnen amüsierte. Sie wartete
dann jeweils ganz genüsslich, bis er zu ihr kam und sie um Entschuldigung
bat; der Moment, wo der Alltag dann wieder seinen gewohnten Trott nehmen
konnte. -- Solche und ähnliche Gedanken gingen an diesem Abend dem Karl
Heinz durch den Kopf, als ihn seine geliebte Klotilde unterbrach: "Was
studierst du so ganz still vor dich hin? Ich bin doch auch hier! Da
könntest du dich doch ein ganz kleines Bisschen darum bemühen, ein paar
Worte mit mir zu plaudern." "Ach nichts von grosser Wichtigkeit. Ich
war in Gedanken schon wieder bei der Arbeit." "Du bist bestimmt der
treuste Mitarbeiter deiner Firma. Nicht einmal in den Ferien kannst
du das Sorgen um deinen Arbeitsalltag sein lassen. Komm, sprechen wir
von etwas anderem. Weisst du bereits, was du den Steinmanns und all
unseren anderen Freunden von Saint -Tropez erzählen willst? Die können
ja jedesmal kaum warten, um zu hören, was wir diesmal wieder alles erlebt
haben." Ihren geliebten Karl Heinz nun ganz zärtlich obenein nehmend:
"Es gibt niemanden, der so spannend und unterhaltsam Ferienerlebnisse
erzählen kann, wie du." --
So sind sie auch heute Abend bei ihrem Lieblingsthema angelangt: der
Ferienberichterstattung; eigentlich das Einzige, worüber sie beide sehr
angeregt und lustvoll sprechen können. Ein wahres Vergnügen ist es für
Klotilde, dem Karl Heinz zuzuhören, wie er immer neue und noch ausgefallenere
Ferienerlebnisse erfindet, um sich danach mit ihm zu einigen, was er
ihren Freunden dieses Jahr erzählen solle. Obschon Karl Heinz all diese
phantastischen Ferienerlebnisse viel lieber selber erleben als nur erfinden
möchte, ist dies auch für ihn eine sehr kreative und lustvolle Tätigkeit,
die er sehr gerne zusammen mit seiner geliebten Klotilde tut, wofür
sie ihn ja auch jedesmal enorm bewundert. Besser, Ferienerlebnisse in
seinen Phantasien zu haben, als überhaupt keine Ferienerlebnisse, tröstet
sich Karl Heinz dann meist über diese Absurdität hinweg. --
Dies war die Vorgeschichte zu den aufregendsten, spannendsten und ausgefallendsten
Ferienerlebnissen eines Ehepaars mittleren Alters und Standes, die es
in dieser Menschheitsgeschichte je gegeben hat
Email: erufer@bluewin.ch
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