"TILL" Eine märchenhafte Kriminalgeschichte
über die Geschlechtsumwandlung
Oktober 1992

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Kurzer Auszug

Marianne hatte in dieser Nacht sehr unruhig geschlafen.
Obschon es bereits recht spät war, kam ihr die Nacht so lange vor, als wolle sie überhaupt nicht mehr zu Ende gehen. Sie wurde von den wildesten und verrücktesten Träumen geplagt. Immer wieder sah sie ihre Schwester Daniela, wie sie ihr aus der Weite zuwinkte, als wäre dies zum Abschied, und dann jedesmal die tote Hand mit dem Ehering, das einzige Indiz für den Tod ihrer Schwester, nachdem mann den vom Zug zerrissenen Körper gefunden hatte. All die alten Geschichten stiegen in ihr empor. Sie sah das Lachen ihrer Schwester von dem Abend, als sie ihr erklärt hatte, wie froh sie wäre , wenn sie, Marianne, nun wieder nach hause ginge, da ja morgen Mutter und Vater zu ihr auf Besuch kämen und sie es ohne sie schöner zusammen hätten; dabei hatte sie ihr während einer Woche nach der Geburt ihres ersten Kindes geholfen. Dieses Lachen verfolgte sie die ganze Nacht, als wollte es ihr sagen, nie hast du mich wirklich gekannt. Mein ganzer Stolz auf meine eigene Familie und die wunderbare Familienharmonie musste ich dir und all den Menschen um mich herum mein ganzes Lebenlang vorspielen; nicht anders, als dies auch unsere Mutter getan hat. Dann verzerrte sich ihr Gesicht in eine maskenhafte Fratze, voller Schadenfreude, bis es sich dann in Verzweiflung, blutüberströmt, in sich auflöste. Dann wieder der herannahende Zug, der Schrei, die Verzweiflung, das spritzende Blut, und schon wieder die Hand, die ihr zuwinkt, als wolle sie ihr sagen: komm zu mir, ich warte auf dich. Und jedesmal wenn sie sich dieser Hand nähern wollte, nur noch die tote Hand neben verrissenen Körper- und Kleiderfetzen. Darauf Urs, ihr Mann, die Kinder und Doris, seine Freundin, die ihr im Traum lachend entgegenkommen, sich darüber freuen, dass sie all die Bilder nicht mehr länger ertragen kann, schreit und sich übergibt, als wollten sie ihr sagen, lass die Harmonie sie ist verlogen, dies wissen wir alle, aber auch du erträgst die Wahrheit nicht. An dieser Wahrheit wirst du ersticken, denn sie kann kein einziger Mensch ertragen. Mach dir keine Sorgen über Daniela, die ruht nun ganz friedlich im Ewigenschlaf, denn auch sie konnte die Wahrheit nicht ertragen und musste deshalb sterben. Das Einzige, was von ihrem Wunsch, die Wahrheit zu leben, geblieben ist, ist die tote Hand mit ihrem Ehering und ein vom Zug zerfetzter Körper; nicht mehr als ein wenig Asche, die wir zur Erde getragen haben -- weg ist die ganze Not und die Harmonie wieder hergestellt. Mit diesen Worten wuchsen Urs und Doris jeweils zu zwei allesüberwältigenden Riesen heran, noch immer mit ihrem friedfertigen Lächeln auf dem Gesicht und einem Wölkchen über ihren Köpfen, als wären sie zwei Heilige, um nun alles, was sich auf der Erde noch aufbäumt und schreit, ruhigen Schrittes dem Erdboden gleich zu machen; an ihren Beinen die sich festhaltenden und um Erbarmen schreienden Kinder. Dann wieder Mutter und Vater mit Wolfsgesichtern, in einander verkrallt. Blut, das über das ganze Land spritzt, ihre Eltern, die sich auffressen und sich dieser Erde opfern wollen, um endlich zu vergessen, schreien einander in Qual und Lust zu: du musst vergessen, denn das Wissen erträgt kein Mensch -- und wieder das Heulen der Wölfe, jetzt ein ganzes Rudel, denn vermehrt haben die sich in einer Geschwindigkeit, dass ihrem Tun kaum zu folgen war. Jetzt das ganze Rudel, das mit offenen Mäulern und fletschenden Zähnen ihr entgegen kommt, mit ihrem verzerrenden Schrei, der sagt: hier wird alles vernichtet, was sich nicht vermehren will. Nun schreit und springt auch sie dem Rudel davon, jedoch vergeblich, denn immer näher kommen die Wölfe, und jetzt -- sie beissen zu, und wieder ihre Schwester, ihr Lachen und die Fratze, ihre Hand, die sie heranwinkt, der Zug, der Schrei, das Blut, Körperteile, die um sie herumfliegen -- und sie, die sich schweissgebadet in ihrem Bett herumwirft, um nicht mehr länger von diesen Träumen verfolgt zu werden; den heranbrechenden Tag kaum erwartend, die einzige Hoffnung, dass er sie von diesen Träumen erlösen und befreien werde. --

Email: erufer@bluewin.ch

 

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